Wednesday, September 7, 2016

Eine phänomenal-bunt-chaotische Kissenschlacht – ganz ohne mich! ★ #Blockupy II

:)
~ model & photographer unknown ~
Photo via Twitter @Jenab_Sarvan

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen"
(Ihr wisst schon, von wem das ist... oder?)

Eigentlich sollte es in meinem kleinen Rückblick auf das vergangene #Blockupy-Wochenende in Berlin nach dem einleitenden Schwerpunkt ‚Arbeit - soziale Spaltungen - Klassenkampf’ (mit den Mode-relevanten Exkursen zur Mall of Berlin und dem H&M-Streik in Italien, siehe Teil I: Krisenherd Berlin) heute mit der Rojava-& Kurdistan-Solidaritätsdemo "gegen die schmutzigen Deals mit dem AKP-Regime der Türkei" vom Freitag Nachmittag weitergehen, einem Themenkomplex, der uns bekanntlich seit 2014 nicht mehr losgelassen hat.

Beim diesbezüglichen Stöbern auf der Blockupy-Seite bin ich gestern – also erst im Nachhinein – dann zufällig auf einen haarsträubenden Aufruf von Berliner Studierenden gestoßen, der mich beim ersten Lesen noch erheitert (es geht – zumindest vordergründig – um eine Kissenschlacht), mit jedem Lesen aber mehr erbost hat, so dass ich mich entschlossen habe, diesen gänzlich ungeplanten Post noch als Reaktion und Kommentar dazwischen zu schieben, weil er thematisch mit dem ersten Teil zusammenhängt und gut an diesen anknüpft. Aus der Verärgerung über den Aufruf resultiert ein hoffentlich nicht zu ätzender Tonfall, wofür ich mich gegebenenfalls vorab entschuldigen möchte.

Da ich ungern über Ereignisse schreibe, an denen ich gar nicht teilgenommen habe (wobei ich oft auch froh bin, wenn ich nicht dabei war, etwa wenn ich an den Krieg in Syrien denke...), beziehe ich mich dabei ausschließlich auf den veröffentlichten Aufruf-Text, nicht auf die Grundidee und Aktionsform als solches oder gar den tatsächlichen und konkreten Ablauf (ich war zu dieser Zeit noch auf der Rojava-Demo). Es ist auch nicht meine Absicht, die Verfasser*innen und / oder das Plenum (?), das den Text verabschiedet hat, in irgendeiner Form zu beleidigen, sondern hoffe vielmehr, dass meine Anmerkungen als konstruktive Kritik brauchbar sind und vielleicht zum Nachdenken – und gerne auch zum Schmunzeln (das kann nie schaden!) – anregen.
Schließlich geht es um eine Kissenschlacht – oder? Ok., fangen wir an.

Nicht fair:
Kissenschlachten sollten grundsätzlich auf Fairness achten. Sich hinter einem Stuhl als 'Schutzschild' zu verschanzen und dann auch noch von oben herab, ist ein klarer Verstoß dagegen.
Typisch 'männlich'? Typisch 'studentisch'? Oder ist es einfach nur lustig???

Taktische, strategische und theoretische Überlegungen:
es könnte sein, dass das Mädchen (?) links gleich ihr Kissen auf den Boden fallen läßt und in einem Überraschungsangriff ihren Bruder (?) zum Fallen bringt, in dem sie die Stuhllehne zum Kippen bringt
(infofern die Kraft reicht, was ich in diesem Falle nicht hoffe),
um ihn dann mit ihrem Kissen zu bewerfen. Auch andere Taktiken sind denkbar.
(^.^)
Es steht allerdings in fast jedem Fall zu befürchten, dass am Ende
eine/r von beiden oder beide weinen müssen, etwa aufgrund von Verletzungen, und das ist nicht gut.

~ Photo by H. Armstrong Roberts ~


Von der Hochschulpolitik zu Staatsdiener*innen?

Mit einer phänomenal-bunt-chaotischen Kissenschlacht der neoliberalen Uni die Federn rupfen“ – dieser „hochschulpoltische Aufruf“ (alle Zitate in diesem Post entstammen eben diesem) sprach mich zunächst auch als Nicht-(Mehr)-Studentin sehr an, das klang gut, witzig und nett. Doch beim Lesen musste ich immer mehr heftig mit dem Kopf schütteln und mich ärgern. Am Ende fühlte ich mich nicht eingeladen, sondern fast schon explizit ausgeladen.

So überraschend kommt das alles nicht: Arroganz und Ignoranz gegenüber nicht-studentischen Bevölkerungsteilen – gepaart mit Selbstmitleid und dem ewigen Schwimmen im eigenen Saft – scheinen eine ‚spezifische Spezialität’ von Studierenden zu sein, wie ich auch aus meiner eigenen Uni-Zeit weiß (was mich schon 'damals' auf die Palme gebracht hat). Von Studierenden, die sich offenbar (auch das ist nichts Neues unter dem Himmel der 'Hochschulpolitik') – unter anderem aufgrund eigentlich erfreulich 'überfüllter' Seminarräume und Bibliotheken - als in dem „letzten Winkel unserer Gesellschaft“ (!) befindlich sehen, deren Traum aber erklärtermaßen darin besteht, „gute Arbeitsplätze nach dem Studium“ zu bekommen (!), „stets darauf hoffend, irgendwann einmal der oder die glückliche Inhaber*in einer unbefristeten Stelle zu sein“ (wie bereits erwähnt alles O-Ton!) – oder sich als Staatsdiener*innen gleich verbeamten zu lassen? Und das, obwohl durchaus verstanden wurde, dass zum Beispiel „Drittmittel“ gegen die „chronische Unterfinanzierung der Hochschulhaushalte“ nur erhält, „wer Privatwirtschaft und Militärforschung am hemmungslosesten die Tore öffnet.Auf Deutsch: Capitalism Sucks.

Öffentlich-chaotische Entmilitarisierung eines imperialistschen Symbols? Das ist doch was!

Kissenschlacht in Berlin
am "Internationalen Weltkissenschlachttag" (!!!), Ostern 2012
~ Photo by Jen Tse (Pencilprism - jentse.com) ~
[I hope it's ok. to use your pic in this context, if not, pls let me know!]


Ballett-Kurse statt Kissenschlachten!

Als Konsequenz werden nicht etwa die vielfältigen Zweige der 'Militärforschungen' boykottiert, sabotiert, bestreikt oder besetzt, die Uni wird auch nicht – viel besser als die bereits immer wieder stattgefundenen und meist eher wirkungslosen 'Uni-Streiks' – für andere, nicht-studentische Bevölkerungsgruppen geöffnet [z. B. für Obdachlose, auch Auswärtige hätten sich z. B. sicher über kostenlose Schlafplätze gefreut, wie sie etwa das „Bethanien“ in Kreuzberg zur Verfügung gestellt hat; ich hätte – um ein gänzlich persönliches Beispiel zu nennen – gerne mal wieder an einem preiswerten Uni-Ballett-Kurs teilgenommen, was für mich als uni-externe Prekäre absurderweise nicht nur weitaus teurer kommt als die Studierenden, sondern wofür ich aufgrund der zu wenigen Plätze (Regel: Student*innen zuerst!) als Externe nur theoretisch, aber nicht praktisch einen Platz bekommen kann], es werden also weder 'Barrikaden errichtet' noch (und seien es symbolische) 'Mauern eingerissen', nein: eine Kissenschlacht in der Bibliothek soll es sein. Ganz ohne Konkurrenzdruck, versteht sich!

Gesellschaftliche Bedürfnisse sind vielfältig:
Zusammen in der Ballett-Klasse?
Photo von Alfred Eisenstaedt: Lesson at La Scala’s Ballet School, Milan, Italy (1934)
via my Twitter friend @Brindille_


Zwischen Marx & Moritz

Damit mensch auch garantiert unter sich bleibt und der herrschenden Klasse nicht allzu sehr auf den Keks geht (wer weiß, wohin die Jobsuche noch führt!), wurde die Gaudi (ich hoffe, zumindest das war es!, wobei… siehe Ende dieses Artikels) der Kritiker*innen der

Massenstudierendenhaltung
[früher hieß das 'Bildung für alle!'; den grundsätzlich modern-anti-ständischen 'Hochschulreformen' der 1960er und 70er Jahre habe ich z. B. letztlich mein Studium an der einstigen „Marx & Moritz“-Universität Bremen (inzwischen zur „Exzellenzuni“ verstümmelt)
zu verdanken…]

im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum angesetzt, einer Großbibliothek, in die sich meines Wissens eher selten Nicht-Akademiker*innen verirren. Dass das kein Zufall ist, geht auch aus dem im Aufruf postulierten, im eigenen priviligierten Milieu und Blickwinkel verhafteten Irrglauben hervor, dass „früher noch die meisten Lohnabhängigen am Fließband standen“, während „die Arbeiter*innen in modernen Informationsgesellschaften zunächst einmal durch die Ausbildungsfabrik Universität geschickt (werden)“ – ähem ja, Klassenanalyse 2016. Erzählt das mal den Schüler*innen der ‚Rütli-Schulen’, den Textilarbeiter*innen in Bangladesh, den Flaschensammler*innen der Metropolen oder den rumänischen Bauarbeiter*innen der „Mall of Shame“ – womit ich keinesfalls ein Studium der Genannten ausschließen will, wohl aber die Behauptungen eines 'Endes von Fließbandarbeit' und einer überwiegend akademischen Zusammensetzung der Arbeiter*innenklasse in der sogenannten 'Informationsgesellschaft' (in gewisser Hinsicht ein Propagandabegriff wie einst die Rede von der 'Dienstleistungsgesellschaft', die angeblich ebenfalls das Ende der 'Fließbandarbeit' eingeläutet hat). Dies gilt erst Recht nicht im globalen Maßstab – und die kapitalistische Arbeitsteilung muss nun mal global gedacht werden.

Statt immer neue 'Begründungen' und Herleitungen für die herrschenden Hierarchien zu suchen (die Selbsteinordnung der Studierenden als "Humankapital" zähle ich ebenfalls dazu, denn gab es jemals eine Arbeitskraft, die kein 'Humankapital' der kapitalistischen Ausbeutung gewesen wäre? Und ist der nicht-akademische Teil der Klasse nicht 'human'???), wäre es doch viel interessanter von den realen Punkten auszugehen, in denen viele Studierende zumindest während des Studiums (und eben oft auch danach) klar Teil der Arbeiter*innenklasse sind, von den jobbenden Kellner*innen und am Fließband (!) schuftenden Student*innen über Sexarbeiter*innen zu den Supermarkt-Kassierer*innen und Lagerarbeiter*innen in Versandhäusern usw. usf. und darüber hinaus Wissen und Bildung aus den Universitäten gesellschaftlich zu verbreiten und die Einrichtungen weiter zu demokratisieren und zu öffnen. Wer sich vor allem über 'Überfüllung' oder gar 'Massenstudierendenhaltung' beklagt, tut das Gegenteil und ruft – auch wenn es nicht intendiert ist – selbst nach neuer Elitenbildung!

Die einst in den (Straßen-) Kämpfen, Streiks und Besetzungen des global gewordenen Pariser Mai 1968 überwundenen (oder überwunden geglaubten) Trennungen zwischen Uni und Fabrik, zwischen Student*innen, ‚Vorstadt-Kids’, Arbeiter*innen, Frauen und Migrant*innen, zwischen akademischem und nicht-akademischem Proletariat wie auch die Kritik an der eigenen Rolle und anderen Herrschaftshierarchien, vom Vorarbeiter auf dem Bau, den Vorgesetzten im Büro, der Tankstelle, Werkstatt oder dem Handwerksbetrieb über Lehrer*innen und Professor*innen in den staatlichen Bildungseinrichtungen bis zu alt- oder auch neumodischen 'Chefs' in der 'blauen', 'weißen' (Krankenhaus / Gesundheitsindustrie) oder anderweitig kolorierten Fabrik – vergessen und wie die Federn alter Kissen vom Wind hinfort geblasen? Puh.

Pferdchen-Fußnote zur "Massenstudierendenhaltung":

Hätte ich nicht bereits früh im Jahr (in meinem Post "Alle faschistischen Deutschen (AfD)...") schon "Protestwähler" zum "Unwort des Jahres" gewählt, "Massenstudierendenhaltung" müsste es sein!

(ich hoffe inständig, das war es dann auch für 2016, ansonsten gehe ich mit Elke Wittich @Elquee den Rest des Jahres Pferdchen spielen!).

[Letzteres eine Art 'Insider' aus unserem bisweilen erheiternden 'Twitter-Leben' und ich möchte betonen, dass ich meine wunderbar rosa-prinzessinnenhafte, journalistische (Jungle World!), pferdchenspielende Kollegin hier nicht vereinnahmen möchte. Wie viele von uns hat sie in letzter Zeit außerdem viel durchmachen müssen, von Puddinghaut essenden Twitter-Ekeln über Cyber-Mobbing bis zur Eselpflege im Pferdchenspiel (wenn er Probleme macht, lass ihn einfach, denn Esel sind cool und mögen keinen Stress). Ich werde ihr daher gleich Bescheid geben! *lach*]

Avantgarde?
Vermutlich weniger studentisch-geprägte Kissenschlacht 'für alle' (?)
~ Kissenschlacht der Trachtenkapelle Göschweiler, Schwarzwald 2009 ~
Screenshot von der Webseite des www.suedkurier.de


Keine Sieger im Wettbewerb!

Das alles ist nicht nur schade, weil ich private und erst recht öffentliche Kissenschlachten durchaus eine feine Sache finde, sondern auch, weil in dem Aufruf weit mehr Erkenntnisse stecken, als die Schlüsse vermuten lassen: etwa die begrüßenswerte Kritik an „Anwesenheitspflichten“, „unkritischen Lehrinhalten“ oder „der marktorientierten Hochschule im Kapitalismus“ als Ort der „Ausbildung unternehmerischer Subjekte“ (= Kapitalist*innen (?)).

Das „Elend im Studentenmilieu“ (Situationistische Internationale) wird vermutlich auch deshalb nicht in seinem ganzen Drama erfasst, weil sich die Protagonist*innen selbst noch gar nicht ganz sicher sind (wer kann das im neoliberalen Kapitalismus schon sein?), ob es wie gewünscht (!?) dafür reichen wird, ein erfolgreiches ‚unternehmerisches Subjekt’ mit „einer unbefristeten Stelle“ oder auch mehr (zum Beispiel einer ‚Führungsposition’) zu werden, oder ob sie sich einreihen müssen (oder dürfen) in die anderen „Arbeitskräfte, die möglichst profitabel vom Kapital eingesetzt werden können“ (= Arbeiter*innen (?)). Ich finde übrigens – da bin ich sicher selbst ganz 'neoliberales Subjekt' – weder das eine noch das andere grundsätzlich 'erstrebenswert' oder 'verwerflich'. Kommt – ja, genau so funktioniert der neoliberale Kapitalismus! – eben drauf an, was mensch (allein oder mit anderen) draus macht. Und ob mensch es sich überhaupt aussuchen kann.

Vor diesem Hintergrund erhält der gutgemeinte Aufruf zu einem "Anti-Wettbewerb-Wettbewerb" einen fahlen Beigeschmack. Wenn ich es richtig verstanden habe, sollten dann konsequenterweise doch noch Sieger*innen der Anti-Wettbewerb-Kissenschlacht gekürt werden, denn so ganz ohne Wettbewerb macht ein studentischer Wettbewerb ja keinen Spaß!
Ist das die "hochschulpolitische" Theorieproduktion 'im Herzen der Bestie' anno 2016? Dann gute Nacht! Auf 'der Straße' ist mensch jedenfalls schon weiter: nicht nur in Frankreich (#NuitDebout), sondern auch in den Kooperativen Rojavas, Basisgewerkschaften und Flüchtlingsinitiativen Berlins und anderswo...

"Nachmacher! Hosenkracher!"?
Flashmob 'Kissenschlacht' in Frankfurt am Main 2010
Laufstegatmosphäre und sexistische Mackersprüche

I-Tüpfelchen des Aufrufes ist eine in ihrer Intention für mich allerdings etwas undurchsichtig bleibende Stelle, in der die Zentralbibliothek als ein Ort kritisiert wird, „in der Laufstegatmosphäre und sexistische Mackersprüche den verbliebenen Spaß an der wissenschaftlichen Betätigung komplett verderben“. Als (auch) Mode-Bloggerin, die „sexistische Mackersprüche“ allzu oft gehört hat, sei mir der Hinweis gestattet, dass Laufstege (also Modenschauen) meiner Erfahrung nach nicht gerade der typischste Ort für diese sind, ganz abgesehen davon, dass sich für das Feld der Mode meist mehrheitlich (wenn auch natürlich keinesfalls ausschließlich) Frauen interessieren.
Es scheint fast, als sollten mit dem Satz ‚binär-aufgespaltet’ (sofern wie ich vermute: 'gender-zuschreibend') sowohl feminin-schick(sig)e Repräsentationsformen (wie wir sie etwa von Laufstegen kennen, und, was mich betrifft, oft auch mögen) etwa von ‚femininen’ Student*innen gleichermaßen (!) kritisiert werden wie sexistische ‚Reaktionen’ männlich kodierter Macker: beides doof. Ist es das, was damit gesagt werden soll?

 
"Enjoying the luxuries of an in home library with all of my faves - Intellect is SEXY"
Ph & text via our Tweep @Met4morphoses
(www.camelotfantasy.com - camelot-poetry-palace)
Original source, model & photographer unknown.

Oder nehmen 'schick gekleidete' Kommiliton*innen den weniger schick gekleideten die „Arbeitsplätze“ in der Bibliothek weg? Sind sie gar selbst schuld an den „sexistischen Mackersprüchen“, weil sie sich kleiden und in der ‚Bibo’ bewegen wie auf dem Laufsteg? Evil.
Oder verspüren Studierende Druck, sich für die Bibliothek schick zu machen, nur weil andere es tun? Ist es schon soweit gekommen, dass sich kein Mensch mehr in einem Ramones-Shirt, mit zerfetzter Jeans und Nietengürtel in die Grimm-Bibliothek traut? Fragen über Fragen. Studentische Probleme allemal. Our bodies, our lives!

 
Laufstegatmosphäre in der Bibliothek?

links:
Model Oktyabrina Maximova in the library by Moscow-based photographer Maxim Guselnikov,
from the series "Vanity-Exposition" (!)
rechts:
Model & Photographer unknown, from the Blog "El Erotismo de las Bibliotecas" (!),
passed along via Twitter by Tweep Jessica Redhead

Oder irre ich mich, und die Kritik an der "Laufstegatmosphäre" hat mit einer oberflächlich-verkürzten 'Sexismus-Kritik' (Mode und / oder 'Sexiness' als einfache Feindbilder zum Abnicken; quasi als Pendant einer verkürzten Kapitalismus-Kritik, die z. B. Banken für alles Böse in der Welt verantwortlich macht) nichts zu tun? Und es handelt sich um eine verkürzte Architektur-Kritik der Sichtbarkeit? Nun, die offiziell Verantwortlichen des Aufrufes heben jedenfalls auch 'kritisch' hervor, dass die Bibliothek "(s)ymbolisch (...) zwischen Bahnhof Friedrichstraße und dem Hauptgebäude der HU (thront) [sic!]", ein Tempel der Bildung also zwischen einem historisch recht 'wilden' Ort der Ankunft und Trennungen, Tränen, Flüchtlinge, Gefangenenaustausche und Spionage (mit vermutlich recht 'feschen', im 'Secretary-Look' gekleideten, beinharten 'russischen Agentinnen'... *lol*) und der besten Uni Berlins, ganz allein deshalb, weil sie jede und jeden Besucher*in mit dem in Marmor gemeißelten Zitat von Karl Marx begrüßt:

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert,
es kommt aber darauf an, sie zu verändern."

Das ist doch eigentlich kein so schlechter Ort und ein guter Ratschlag.

 
Die richtige Richtung:
Wandzettel gegen Grenzverletzungen aller Art in Toilette und am Tresen des Bethanien am Mariannenplatz, Berlin-Kreuzberg. Allerdings müssen diese eigentlich selbstverständlichen Regeln auch entschieden durchgesetzt werden - das gilt auch für Bars, Clubs, die Grimm-Bibliothek und jeden anderen Ort.
Kissenschlachten dürften dafür gänzlich ungeeignet sein - "Bildet Banden!" schon eher.
~ von mir photographiert am Abend des 2. Sept. 2016 ~
#Blockupy #Macker #Homophobia #Rassismus #Antisemitismus ...
Photo-Credit: STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin

Und was die sexistischen Macker betrifft, gehören sie – wie überall sonst – hochkant aus der Bibliothek geworfen (zumindest in diesem Punkt dürften wir uns einig werden). Denn die und ihre widerlichen Sprüche und / oder Anmachen sind – oder sind auch die 'Slut Walks' schon in Vergessenheit geraten? – keine Frage der Bekleidung, sondern eine des Respekts.

Es bleibt also eine fragwürdige Kissenschlacht – ganz ohne mich.

Hochschulpolitisch vermutlich nicht gern gesehen:
Freundinnen von Kissenschlachten in Unterwäsche sollten die Grimm-Bibliothek weiträumig meiden und ihren Vorlieben besser im Privaten fröhnen. Schade.
Photo "feathers" via electru.de


Studentische Dramen:
Entweder zu voll oder abgesperrt!

Passende Fußnote dieser fast schon lustigen Geschichte (ich mag lustig, lustig ist gut und nicht schlecht!) ist, dass die Kissenschlacht im Grimm-Zentrum anscheinend letztlich nicht stattfinden konnte, da die Polizei diese Aktion als so staatsgefährdend betrachtete, dass die Kissen (!!!) konfisziert wurden und das Gebäude abgeriegelt wurde (siehe Photo unten). Mit Kissen freilich ist so ein Polizeikordon nicht zu durchbrechen, und so war es fast wie immer: kein Mensch kommt mehr in die Bibliothek. Schon gar keine Nicht-Student*innen.

"Polizei verhindert #Blockupy-Kissenschlacht an der HU, konfisziert Kissen als 'Gefahrengut' (...)"
Photo & Text by Tim Lüddemann @timluedde 2 Sept 2016


Die Bibliothek stürmen!

Wie mir auffällt, war auch ich noch nie in der Bibliothek. Ich werde das nachholen. Und mir die höchsten Stöckelschuhe und den kürzesten Rock anziehen, die sich in meiner Garderobe befinden. Vielleicht sind ja auch ein paar nette Bücherwürmer da.

Pink T-Strap Pumps with cute glitter ribbons
by Sophia Webster (2014)

xxx
Eure
‚Mode-Bloggerin’ Magenta,
die von den wahrlich unerträglichen Verhältnissen ständig genötigt wird,
über etwas anderes zu schreiben.
Immerhin ist es mir heute gelungen, einen smarten weißen Body, zwei todschicke modische Outfits (und eine tolle Brille!), Lingerie ('Unterwäsche') und ein Paar niedliche rosa HighHeels unterzubringen.
Ich habe mich also zumindest bemüht.
(die schöne Sonne macht irgendwie albern!).
(^.^)

Das nächste Mal in #Blockupy III wird es aufgrund des Themas leider alles andere als lustig, denn dann geht es 'endlich' (this time for real!) um die Rojava-Solidaritäts-Demo vom Freitag, auch wenn sie – soviel sei vorweggenommen – jenseits des bitteren Inhalts als Demonstration betrachtet sehr schön war...


Links
Bilder vom 1. Mai in Berlin (1. Mai 2015)
La Beauté est dans la Rue (1. Mai 2014)
Eine Linkliste zu meiner umfassenden Syrien-Türkei-Kurdistan-Berichterstattung
folgt im nächsten Teil dieser kleinen #Blockupy-Serie.

The STYLE! IT! TAKES! Gender Series:
Girls Loving Girls (2015, #III)
Red My Lips (Sexual Assault Awareness Month) (2015, #II)
Style! It! Takes! Manifesto (2013)

Wer nach schönen Kleidern etc. sucht, am Ende meiner Photo-Artikel
Blumenmädchen * Flower Girls ⊰1⊱ & ⊰2⊱ gibt es eine kleine Linkliste.

Monday, September 5, 2016

Krisenherd Berlin ★ #Blockupy Wochenende I

"#Berlin in einem Bild. #kreuzberg #heuristicoftheday"
Photo by / via @berlinerzeitung 3 Sep 2016

Krisenherd

For non-German-speaking readers:
"Krisenherd" is the German word for 'hot spot' or 'trouble spot',
a combination of the word for 'crisis' ("Krise") & "Herd",
of which the latter can have the meaning both of 'stove' as well as 'epicenter'...
;-)
Apart from the 'stove'-joke, in this article I use the word "Krisenherd" on two separate levels:
1. Europe / Germany / Berlin as an epicenter of capitalist power, crisis, arms trade, wars...
(the perspective of the ruling class)
2. Europe / Germany / Berlin as an (possible) epicenter of resistance and struggle from 'below'
(the perspective of the oppressed, the working class, or in this case, of the Blockupy movement).

Unfortunately I will not find time to translate this little series of articles into English,
but so you get this funny word play in the first photo &
can at least enjoy the pictures / video
of this first part (out of four) about the #Blockupy weekend in Berlin.
Small parts are in English, watch out! *lol*
xxx
Magenta

Die sich immer weiter verschärfenden Dauerbrenner-Themen Kapitalismus-Krise-Krieg – Ausbeutung, Sozialabbau, Armut & Prekarisierung – EU-Krise & Festung Europa – Revolution in Rojava / Kurdistan vs. Syrienkrieg & Diktatur in der Türkei und der wachsende Rassismus in Europa lassen uns nicht los. Am Wochenende (2. bis 4. Sept.) gab es unter dem Motto "Ultraeuropäisch, grenzenlos und für alle!" im Rahmen des internationalen "Blockupy"-Bündnisses in Berlin eine Vielzahl insgesamt gut organisierter Aktionen zu diesen und weiteren, miteinander zusammenhängenden Themenfeldern.

Der Ort konnte passender nicht sein, denn Berlin ist nicht nur ein geschichtliches Symbol für Völkermord, tödlichen Rassismus & Antisemitismus, Nationalismus, Imperialismus und Krieg (siehe auch meinen Artikel "Keine Feiertage: 3. Oktober, 9. November"), sondern als Machtzentrum Deutschlands und der EU, aber auch der NATO, als Wirtschaftsgigant, Rekord-Rüstungsexporteur von Waffensystemen an Folterstaaten und Diktaturen wie etwa Saudi-Arabien und die Türkei, als Entsendezentrale für Bundeswehr-Auslandseinsätze wie auch nicht zuletzt als wichtigster Partner der staatsterroristischen Türkei (siehe hierzu z. B. meine Artikel "#TurkeysWarOnKurds" und "Merkel & die EU zwischen AfD und AKP") tatsächlich einer der hauptverantwortlichen "Krisenherde" der Welt, so dass es höchste Zeit wurde, der herrschenden Politik mal wieder einen anderen "Krisenherd" entgegen zu setzen, nämlich den einer solidarischen, widerspenstigen, kosmopolitischen und freien Gesellschaft von 'unten'.

Es folgt eine Sammlung von Fundstücken, Eindrücken, Situationen & Szenen eines ereignisreichen Wochenendes in vier Teilen. Heute machen wir uns zunächst 'an die Arbeit', also die sozialen und ökonomischen Themen, die im Kapitalismus immer auch eng mit rassistischen und sexistischen Spaltungen verknüpft sind. Über Blockupy hinaus werden auch exemplarisch drei europäische Arbeitskämpfe angesprochen (Bewegung gegen das Arbeitsgesetz "Loi Travail" in Frankreich, Auseinandersetzung um die "Mall of Berlin" (Mall of Shame) sowie ein Streik bei einem H&M-Zulieferer in Italien), die letzten beiden mit engem Bezug zu unserem Thema der Mode.


Krisenherd Europa - Krisenherd Berlin
"Das alte Europa kommt seit dem Ausbruch der Krise im Jahr 2007 nicht zur Ruhe.
Spitzte sich die Krise bis letztes Jahr noch anhand der brutalen Sparpolitik zu, die in vielen Ländern der südlichen Peripherie brutal durchexerziert wurde, vervielfachen sich die Herausforderungen durch den Summer of Migration und die reaktionären Tendenzen innerhalb Europas für die Herrschenden und damit auch für uns. (...)
Unsere Geschichte in der jüngsten Zeit war eine Geschichte der Offensiven, wenn wir an die Bewegungen in Spanien und Griechenland oder den Angriff auf die europäischen Außengrenzen denken, ist aber mittlerweile eine des Rückzugs, wenn wir an das Erstarken der neuen Rechten oder die Reorganisierung des Migrationsregimes denken. Die Krise Europas hat sich vertieft und die Auseinandersetzungen vervielfältigt.
Auch wir kriegen diese Vervielfältigung der Herausforderungen mit, wenn wir (...) Fluchthilfe leisten, Flüchtlinge in ihrem Ankommen unterstützen, uns vermehrt den Rechten entgegenstellen müssen, gegen die herrschende Klassenpolitik kämpfen, unsere Freiräume verteidigen und dabei nicht das große Ganze aus dem Blick verlieren dürfen.
Es herrscht Chaos unter dem Himmel, ist die Lage ausgezeichnet? Wir sind uns nicht sicher. (...)
In Zeiten von Rassismus, Chauvinismus und Austerität, von Hetze, Spaltung und sozialer Unsicherheit müssen wir jenseits der Nationalstaaten und dem herrschenden Europa ultraeuropäisch bleiben;
bauen wir unser Europa auf, ein solidarisches Europa - grenzenlos und für alle!"
(aus dem Aufruf der Interventionistischen Linken (IL); Hervorhebungen von mir)


  
"Le problème est toujours là, nous aussi !"
(Das Problem ist immer noch da, wir auch !)
"#manif15septembre #loitravail #Antifa #ACAB #refugeeswelcome #nuitdebout"
Text & poster via Twitter @WatsRllyGoingOn 9 Aug 2016

Streikende Arbeiter*innen protestieren vor einem riesigen Container-Wandbild in Le Havre
"@Blockupy Grüße aus Le Havre an Paris."
via Twitter 14 Jun 2016

Kleiner Blick ins Nachbarland Frankreich: dort protestieren schon seit Monaten Hunderttausende aus Gewerkschaften und Syndikaten (das Plakat links mobilisiert für die nächste Großdemo in Paris), Schüler*innen- und selbstorganisierten Basis-Komitees über alle Grenzen hinweg und unbeirrt von Männerfußball-EM, Demonstrationsverboten oder immer neuen Ausnahmezuständen im Namen der 'Terrorbekämpfung' mit Streiks, Besetzungen, Großdemonstrationen, nächtlichen Versammlungen und Aufständen ("NuitDebout") gegen das neue, neoliberale Arbeitsgesetz "Loi Travail" der 'sozialdemokratischen' Regierung unter Präsident Hollande. Wir schicken unsere Solidarität, viel Ausdauer & Kraft und wünschen weiterhin viel Erfolg!
Und damit zurück nach Berlin.


Blockupy das Arbeitsministerium
2 September 2016

Auf dem Mobilisierungsplakat sehen wir eine aus dem IS-Kalifat in das von kurdisch-alliierten Kämpfer*innen befreite Rojava (Nordsyrien) geflüchtete Frau, Flüchtlinge im Mittelmeer, Proteste gegen das neue 'Arbeitsgesetz' "Loi Travail" in Paris und eine "Refugees Welcome"-Fahne.

#Blockupy poster for the blockade of Labour Ministry in #Berlin
"Into the heart (center) of the beast"
via @syndicalisms 1 Sep 16

Der Freitag begann schon frühmorgens mit kämpferischen Aktionen gegen das Arbeitsministerium. Gründe dafür gab es viele, etwa

die gesamteuropäische Demontage der sozialen Sicherungssysteme im "Vermächtnis von Schröder und Blair, von Schäuble und Dijsselbloem" und der "Agenda 2010" mit der Konsequenz von Hartz IV (oder eben Loi Travail), Armut trotz Arbeit und einem für immer mehr Menschen prekarisierten Alltag,
Protest gegen die Verschärfungen der Situation von EU-Migrant*innen in Bezug auf ALG-II und
SPD-Ministerin Andrea Nahles' Vorschlag von "80-Cent-Jobs für Geflüchtete".

Denn: "Das deutsche Arbeitsministerium ist zentraler Akteur im Regime der sozialen Spaltung und verschärften Ausbeutung, das vielfach rassistisch begründet und verschleiert wird". Dem gegenüber wurde ein solidarisches, "anderes Europa, dass mit den verrotteten, undemokratischen Institutionen der EU nichts mehr zu tun hat" vorgeschlagen (alle Zitate aus dem Aufruf der IL).
Im folgenden Video sehen wir kurze Ausschnitte der für die frühmorgendliche Uhrzeit überraschend quirligen Aktion. ;-) Leider kam es dabei auch zu teils brutalen Polizeiübergriffen und zahlreichen Verhaftungen. Eine Sprecherin liefert zudem eine Einschätzung und einen Ausblick auf kommende Mobilisierungen und Aktionen.

 Blockupy stürmt das Regierungsviertel / Ministerium für Arbeit
Vid from today's #Blockupy action against the Ministry of Labour + Social Affairs in #Berlin.
#AntiAusterity
2 Sept 2016 by leftvision clips


Hauptbahnhof

"Construction Time Again" (Depeche Mode)
Wow!
#Blockupy am Hbf #Berlin 2 Sep 16
Photo via Twitter

... der Protest war überall in der Stadt sichtbar...

"Willkommen in Berlin! #blockupy am Hauptbahnhof. Später: zweite Welle"
Photo by / via @IL_Berlin 2 Sep 16


Mall of Shame

... und 'natürlich' wurde auch die "Mall of Shame" (offiziell: Mall of Berlin) nicht vergessen, berühmt-berüchtigt dafür, noch nicht einmal ihre Niedriglohn-Bauarbeiter bezahlt zu haben
(siehe Kurzinfo unten).

'Not amused': Aktivist*innen gelang es, in der "Mall of Shame" (Mall of Berlin) ein Transparent mit dem Text "Organisieren - Blockieren - Streiken. Das Leben ist zu kurz für Kapitalismus" aufzuhängen
und zahlreiche bunte Flyer von den Brücken zu werfen...

"Organize – Block – Strike. Life is too short for Capitalism."

Photos Blockupy @ Mall of Shame by @zinografie 2 Sep 2016
"#MallofBerlin #berlin #blockupy #b0209 #zinografie @BlockupyBerlin @ Mall of Shame today"


Der lange Kampf der Bauarbeiter der
MALL OF SHAME



Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog
Beim Bau der Mode-Shopping-Mall wurden hunderte Arbeiter aus Rumänien – ohne schriftliche Arbeitsverträge, unter übelsten Bedingungen und teils unter Gewaltandrohungen – für 4-6 € Stundenlohn zehn Stunden am Tag schuften gelassen. Hungerlöhne, die dann noch nicht einmal vollständig ausgezahlt wurden! Ein Teil der Bauarbeiter wandte sich daraufhin an die basisdemokratische, anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU (Freie Arbeiter*innen Union), die sich gemeinsam mit den Betroffenen in einem langen, zähen Kampf durch Öffentlichkeitsarbeit, auf der Straße und vor Arbeitsgerichten zur Wehr setzte. Dabei kamen auch die skandalösen und dubiosen Strukturen von Briefkastenfirmen und mafiösen Sub-Sub-Subunternehmerketten ans Tageslicht, der Begriff "Mall of Shame" war geprägt.

Dennoch ist die Geschichte kein 'Einzelfall', sondern steht stellvertretend für die skandalöse Ausbeutung von oft migrantischen Arbeiter*innen, nicht nur, aber besonders im Baugewerbe und der Gastronomie.

Ausführliche Artikel & Informationen zu diesem und ähnlichen Themen
finden sich auf der Berliner Webseite der FAU-Gewerkschaft:



The long struggle of the construction workers of the
MALL OF SHAME

The story of the construction workers of the "Mall of Shame" (Mall of Berlin) & informations about ongoing similar struggles can be found on the webpage of the Berlin section of the basic-democratic, anarcho-syndicalist union FAU (Free Workers' Union):

(this article about the conflict & struggle is not only available in English, but also in Română, Castellano, Svenska, Français & Ελληνικά !)

See also my post "Bilder vom 1. Mai in Berlin" (Pictures from the 1st of May in Berlin) (May 2015).


Blick nach Italien:
Streik in H&M-Warenlagern


Natürlich haben Aktionen wie Blockupy immer einen stark symbolischen und kurzfristigen Charakter, weshalb es umso wichtiger ist, die Kämpfe im Alltag zu führen, zu vernetzen und Ideen und Themen aus der und in die Arbeitswelt zu tragen. Ein gutes Beispiel dafür ist ein aktueller Boykottaufruf streikender italienischer Arbeiter*innen gegen die schwedische Mode-Kette H&M, da er ein Miteinander von Streikenden, Unterstützer*innen und Konsument*innen ermöglicht, um gemeinsam Druck auf den Konzern auszuüben.

Hier ein längerer Auszug aus der Streikerklärung der hauptsächlich weiblichen Arbeiter*innen, in der sie auch auf die Produktionsketten, die katastrophale Situation ihrer Kolleg*innen in Bangladesh und die Taktiken des H&M-Konzerns (Auslagerung an Sub-Unternehmen, Nichtanerkennung der streikführenden Gewerkschaft etc.) eingehen:
"In diesen Augusttagen führen Arbeiter_innen in den H&M Warenlagern Stradella und Casalpusterlengo (beide in der Lombardei, Italien) ihren ersten wichtigen Kampf für ihre Rechte und Arbeitsbedingungen, nachdem sie sich im SI Cobas organisiert haben.

H&M, ein schwedisches multinationales Unternehmen, lagert seine Produktion in Niedriglohnländer aus, v.a. nach Bangladesh. Dort ist H&M der wichtigste Einkäufer und die Löhne der Textilarbeiter_innen betragen weniger als 100 Dollar im Monat.
In Bangladesh starben schon vor dem Zusammenbruch der Rana Plaza Fabrik 2013, als 1.128 Textilarbeiter_innen starben und über 2.500 verletzt wurden, im März 2010 21 Arbeiter_innen von Garib & Garib, einem H&M Zulieferer, in einem Fabrikbrand. Im Februar 2016 brannte eine Fabrik von Matrix, einem anderen H&M Zulieferer, trotz eines von den wichtigsten Käufern unterzeichneten Vertrages zur Erhöhung der Sicherheitsstandards.

Die Ausbeutung beginnt in den Fabriken, geht jedoch weiter in den Warenlagern
, wo die Logistik der Bekleidung gemanaged wird. Das Warenlager in Stradella, ist mit ca. 300 Arbeiter_innen, die meisten von ihnen Frauen, eines der wichtigsten Verteilzentren des schwedischen Bekleidungsgiganten in Europa. Von hier werden online gekaufte Kleidunsstücke direkt in Privathaushalte in verschiedene Länder Europas geschickt. Das Warenlager von Stradella wird von XPO betrieben, einem multinationalen Logistikunternehmen, das die Arbeit an eine sogenannte 'Kooperative' als Subunternehmer auslagert. Diese Kooperative stellt die Arbeiter_innen ein. Mit befristeten Teilzeitverträgen, bei denen sie 11 Stunden am Tag arbeiten müssen, sechs Tage die Woche. Ihre Arbeitszeiten werden ihnen jeden Tag für den kommenden Tag mitgeteilt. Sie können ihr Leben nicht planen. Die Löhne sind die niedrigstmöglichen für Logistikarbeiter_innen (Lohnstufe 6) und da sie 'Teilzeit' angestellt sind erhalten sie nur einen Teil des Urlaubsgeldes und der Extrazahlungen (...). Ihre Forderungen sind: normale 39 Stunden Wochenarbeitszeit, Vollzeitverträge, einen monatlichen Arbeitsplan und eine Lohnstufe die ihrer Arbeit entspricht.
H&M-XPO und die Kooperative lehnen die Anerkennung der Gewerkschaft SI Cobas ab.
Die Arbeiter_innen in Stradella haben ihren dritten Streik innerhalb eines Monats am 19. August abgehalten, mit Streikposten, um ihre Kolleg_innen und die LKW Fahrer davon zu überzeugen, die Tore nicht zu passieren. Gestern (am 23. August) hat XPO Arbeiter_innen ausgesperrt, um den Streik zu brechen. Ein Teil der streikenden Arbeiter_innen hatte, nachdem sie erfahren hatten, dass die Produktion in ein anderes Warenlager verlagert wurde, dessen Einfahrt blockiert.
In Casalpusterlengo hat H&M das Warenlager (...) bisher direkt betrieben. Das bedeutet, dass H&M die Arbeiter_innen direkt eingestellt hatte. Aber die nationalen Tarifvertrag einzuhalten scheint dem Unternehmen zu teuer und so möchte H&M erreichen, dass 15 Arbeiter_innen von ihrem alten Arbeitsvertrag zurücktreten und sich von einer 'Kooperative' anstellen lassen, die ihre dem nationalen Tarifvertrag entsprechenden Verpflichtungen leichter umgehen kann, indem sie den neuen Jobs Act anwendet, der fast unbegrenzte Möglichkeiten zu kündigen vorsieht. [...] Die Arbeiter_innen haben auch hier angefangen zu streiken und werden bei den Streikposten von Arbeiter_innen aus Stradella unterstützt.
Obwohl H&M in seiner Unternehmens PR vorgibt, soziale Standards zu respektieren, umgeht es diese, indem es die Arbeit auslagert, mit der es Geld verdient, sowohl bei der Produktion als auch bei der Logistik.
Da H&M ausschließlich die Sprache des Profits versteht, organisiert SI Cobas einen Boykott aller H&M Geschäfte in den größten Städten Italiens (...) und ruft Schwestergewerkschaften und Organisationen dazu auf, in Europa und überall den Boykott zu organisieren."

(leicht gekürzt, von Labournet TV http://de.labournet.tv/boykottaufruf-gegen-hm,
alle Hervorhebungen von mir)

Stand: Ende Aug. 2016, Aktuelles via Twitter @labournettv

Nach den Skandalen aus Bangladesh und den Meldungen über Kinderarbeit (syrische Flüchtlingskinder!) bei H&M-Zulieferern in der Türkei dürfte sich ein etwaiger Einkauf bei H&M damit vorerst erledigt haben. Gut wäre es natürlich, dies und die Gründe dem Unternehmen wie auch den Mitarbeiter*innen in den Filialen mitzuteilen (dabei bitte unbedingt freundlich bleiben, es handelt sich schließlich um Kolleg*innen, die sich selbst in einer Ausbeutungssituation befinden und nicht für die Politik des Konzerns verantwortlich sind!). Unser Blog schließt sich jedenfalls dem Aufruf aus Italien an und fordert H&M hiermit dazu auf, die Forderungen der Streikenden in Stradella und Casalpusterlengo umgehend zu erfüllen! Allen Mode-Interessierten & Blogger*innen schlagen wir vor, die Informationen weiterzutragen und sich uns ebenfalls anzuschließen. Nur so kann sich etwas ändern!

Mit diesen Vorschlägen und einem Lesetipp beende ich unseren ersten Blick auf das Blockupy-Wochenende und ein 'anderes Europa', ein Europa 'von unten', für heute. Im zweiten Teil geht es zunächst um eine verhinderte Kissenschlacht (!), im dritten Teil werde ich dann von der Rojava-Solidaritätsdemo "Keine Deals mit dem AKP-Regime - Frieden & Freiheit für Kurdistan" berichten, die ebenfalls am Freitag stattfand. Im letzten Teil der kleinen Serie geht es dann um Ausprägungen und Verschränkungen verschiedener Feminismen, Antifeminismus/Sexismus und Rassismus in Berlin. Ob Berlin jenseits der hier nur angedeuteten, in der Stadt kumulierten kapitalistisch-imperialistischen Herrschaftsarchitekturen wirklich auch ein "Krisenherd" im positiven Sinne ist oder werden wird, diese Frage ist jedenfalls noch nicht beantwortet!

Eure
Magenta


Lesetipp:

Die interessanteste deutschsprachige linke Zeitschrift zu den globalen Kämpfen gegen den Kapitalismus ist für mich die schon seit 1984 (!) erscheinende 'operaistische' "wildcat", die wir ja auch schon seit Ewigkeiten in unserer Blogroll haben. Obwohl sie ein umfassendes Online-Archiv hat, ist es wünschenswert, die Druckausgabe der Zeitung zu abonnieren oder im linken Buchhandel* zu kaufen
* etwa bei "Schwarze Risse" in der Kastanienallee / Prenzlberg bzw.
im Mehringhof, Gneisenaustr. 2a / Xberg


Alles und noch viel mehr hierzu auf:
http://www.wildcat-www.de/

 
Ein paar Cover der Zeitung:
zu Flüchtlingskämpfen und sozialen Bewegungen
im Zeichen von Crash & Krise in Europa (beide 2010),

 
zum Thema "Refugees welcome" (Winter 2015/16) sowie aktuell
zur #NuitDebout-Bewegung in Frankreich ("Aufrecht durch die Nacht").

Wednesday, August 3, 2016

Qamişlo 27 Juli 2016 - Terroropfer zweiter Klasse?

Bei einem erneuten Terroranschlag des IS (Daesh) in der kurdisch-multiethnischen Stadt
Qamişlo (Rojava, Nordsyrien) sind über 50 Menschen gestorben.
(Pic via @nothilfe 1 Aug 2016)

Eigentlich hatte ich mir seit dem IS-Massaker in Kobanê (Rojava / Nordsyrien) im Juni 2015 und den November-Anschlägen in Paris 2015 vorgenommen, hier nicht mehr über die andauernden feigen Angriffe der IS-Terroristen (Daesh) zu berichten, da die Aufmerksamkeit ein wichtiger Teil ihrer Killer-Strategie ist. Wenn ich dennoch noch einmal eine Ausnahme mache, dann deshalb, weil der verheerende Doppel-Anschlag in der nordsyrischen Stadt Qamişlo (der Hauptstadt des Kantons Cizîrê in der selbstverwalteten Region Rojava) letzten Mittwoch von den Medien weitgehend unbeachtet geblieben ist. Ob #Orlando, #Istanbul, #Nice oder #Würzburg, ob 'kleiner' oder großer Anschlag, ob Großangriff oder 'Einzeltäter', meistens gibt es Reaktionen in und aus der ganzen Welt: Trauerbekundungen, Solidaritäts- und Hilfsangebote, Gedenkveranstaltungen, Kondolenzschreiben &-besuche, öffentliche Gebäude werden in den Farben des betroffenen Landes beleuchtet, Kerzen aufgestellt, Blumen niedergelegt, Reden gehalten. Qamişlo? Fehlanzeige.

"Die Kurd*innen sind unsichtbar, wenn es um deren Leid geht. Nichts in den Nachrichtenkanälen des Westens. Entsetzlich."
"The #Kurds are invisible when it comes to their suffering, nothing on the news channels in the west. Horrible."
(@Arimurad 27 Juli 2016)


Der Anschlag
The Attack

Dabei handelte es sich bei dem Doppel-Bombenanschlag mit einem mit Sprengstoffen beladenen Lastwagen und einem Attentäter auf einem Motorrad um einen der schwersten Angriffe des IS. Die entsetzliche Wucht der Explosionen ließ selbst im benachbarten Nusaybin (Türkei) Fensterscheiben platzen.

"Photo taken from #Nusaybin (other side of the border) reveals the magnitude of explosion in #Qamishlo"
(via @KrdstnRprt 27 Juli 2016)


"Aftermath of cowardly ISIS suicide attack targeting Kurdish town of Qamishlo.
Death toll is rising. #Rojava"
(beide Photos / both pics, @agirecudi 27 Juli 2016)


Die Opfer * The Victims

Offensichtlich gibt es Terror-Opfer erster und zweiter Klasse, das läßt sich schon lange beobachten (etwa wenn es um die zahlreichen afrikanischen Opfer der mit dem IS verbündeten Terrororganisation "Boko Haram" geht oder Muslime Opfer des IS werden, was übrigens meistens der Fall ist) und um dieses tödliche und widerliche Paradigma zu durchbrechen, hier eine Erinnerung an einen Teil der Opfer des 27. Juli 2016:

Nur 30 der mehr als 50 Todesopfer von Qamişlo * Only 30 out of more than 50 victims of Qamişlo
"#Qamishlo bajarê birîna. May the souls of our victims rest in peace. #Qamishloattacks"
(@AlBjeen 30 Juli 2016)


"In solidarity with the people of Qamişlo (Rojava) on this very very sad day
#Pray4Qamishlo #Qamishlo"
(@nighttides 27 Juli 2016)


Gedenkfeier in Qamişlo
Commemoration in Qamişlo
4.09.2016




Alle vier Photos von der Gedenkfeier vom kommunalen Radio-Sender ARTA FM (später hinzugefügt).
All four photos of the commemoration by communal radio station ARTA FM (added later).
"27.07.2016
40 days passed since then and #Qamishlo, Rojavayê #Kurdistan can't forget, we are still hurt."
(alle vier Photos / all four pics, via @AlBjeen 5 Sept 2016)

"The commemoration took place on 4.09.2016 ... #Qamishlo"
(Photo by ARTA FM, via @AlBjeen 5 Sept 2016)

Bei aller Traurigkeit können wir sehen, wie vielfältig eigentlich die Gesellschaft in Rojava ist. Genau diese ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt steht im Visier der Daesh-Terroristen, aber sie werden sie nicht zerstören können. Bereits Ende Dezember 2015 kamen bei einer Serie von dschihadistischen Bombenanschlägen auf drei Restaurants in einem christlichen Stadtviertel (!) von Qamişlo mindestens 16 Menschen ums Leben. Rojava dürfte die einzige Region im Nahen Osten sein (vielleicht abgesehen von Israel und der Autonomen Region Kurdistan / Irak), in der Menschen jeder Glaubensrichtung friedlich zusammenleben können. Es gibt im säkularen Qamişlo / Rojava Kirchen, Moscheen, Atheist*innen, Jesid*innen und viele Ethnien, die im kriegsgeplagten Syrien mit viel Einsatz und unter großen Opfern zusammen eine neue Gesellschaft aufbauen und verteidigen. Warum kommt so wenig Unterstützung aus dem Westen?

 Eine blutige Tränen weinende Friedenstaube... :'-(
A peace dove crying bloody tears... :'-(
"#twitterkurds #Qamishli #qamislo"
(@AriadniCorfu 27 Juli 2016)


Türkei blockiert, Deutschland schweigt
Turkey blocks, Germany stays silent

Die Terrorangriffe werden weitergehen, in Syrien und dem Irak genauso wie im Rest der Welt. Es handelt sich um die letzten Zuckungen einer tödlichen und barbarischen Schlange namens IS / Daesh, denn sie verlieren an allen Fronten und ihr Killer-Kalifat schrumpft nicht zuletzt aufgrund der Erfolge der Kurd*innen und ihrer multi-ethnischen Verbündeten weiter täglich in sich zusammen. Genau deshalb schlagen sie immer zielloser um sich: die Schlange ist am Ende, aber leider noch lange nicht tot. Genährt wird sie unter anderem nach wie vor vom 'NATO-Partner' Türkei, der zudem weiterhin jegliche Hilfslieferungen nach Rojava blockiert, obwohl die Grenze nur 2 km entfernt ist. Und die Bundesregierung? Schweigt.

"IS-Terroranschlag in Qamishlo: 56 Tote, 180 Verletzte. Solidarität mit den Kurden?
@AuswaertigesAmt @RegSprecher ERROR"
(@ZagrosIsmail 27 Juli 2016)

Wie es aussieht, bleiben die Menschen in Rojava weiter auf sich selbst gestellt. Trotz Grenz- und Wirtschaftsblockade wurden in Windeseile die Explosionsschäden in der eigentlich sehr schönen Stadt behoben. Die Opfer können sie nicht zurückbringen und die menschlichen und seelischen Wunden werden noch lange nachhallen. Ein weiteres sinnloses Attentat einer internationalen Mörderbande im Zusammenbruch.

  
"#Qamishlo how my city looks like after the two massive explosions on 27.07.2016
We will never forget."
(@AlBjeen 31 Juli 2016)

Mitten auf dem Platz stehen Blumen für das kleine Mädchen Leylan Mohammad (siehe unten).
Flowers for the little girl Leylan Mohammad (see below) in the center of the square.

 
Leylan Mohammad, 5 years old, the only child of her family,
killed in Qamishlo explosion, replaced by some flowers.
(beide Photos / both pics, @NassanIdriss 3 Aug 2016)


Solidarität mit Rojava!


Verwandte Blog-Artikel:

Zum 'Cyber-Krieg' gegen den IS (Daesh):
Pac-Man gegen #daeshbags (November 2015)

Zum 'Schrumpf-Kalifat' in Syrien & den Siegen der YPG / YPJ in Rojava:
Der kürzeste Weg nach Tall Abyad (Juni 2015)
Mit Pferdeschwänzen gegen Terroristen (März 2015)
Befreiung & Wiederaufbau der Stadt Kobanê (Februar 2015).
all in German & English (English titles: "The shortest way to Tell Abyad", "With Ponytails against Terrorists" and "Liberation & Reconstruction of the City of Kobanî")

Über die falschen Konsequenzen aus den dschihadistischen Anschlägen in Paris:
K(l)eine Lehren aus Paris (November 2015)
Leider hat sich die europäische Politik seither genau in die gegenteilige Richtung meiner dort im Kapitel "L'amour plus fort que la haine - Love is stronger than hate - Die Liebe ist stärker als der Tod!" gemachten Vorschläge zum Umgang mit dem IS-Terror entwickelt. Dies schon damals ahnend (siehe Titel!), gibt es dort auch den Abschnitt "Die kleinen Privatkriege gegen Daesh". ;-)

Zum IS-Massaker in Kobanê (25. Juni 2015):
Das Letzte Massaker der Dschihadisten (Juni 2015)
in German & English (English title: "The Last Massacre of the Jihadists")

Zu den 'Charlie Hebdo-Massakern' in Paris (7. - 9. Januar 2015):
Je suis Charlie... je suis Ahmed... je suis juif... (Januar 2015)
in German & English