Sunday, November 8, 2015

Herbst im Moor

"... eine Landschaft, in der Erhabenheit und Schönheit mit dem Grauen einer trostlosen Öde dicht nebeneinander wohnten."
August Grisebach (1814–1879)

Nachdem ich mich dieses Jahr ungewöhnlich viel mit Berliner Orten beschäftigt habe (u. a. dem Weißen See, dem ehemaligen Flughafen Tempelhof und zahlreichen, über die ganze Stadt verteilten Erinnerungsorten zu den eher traurigen historischen Daten 3. Oktober / 9. November), dachte ich mir, warum nicht mal großräumig den Ort wechseln und ein bißchen Natur- und Heimatkunde mit einem meiner eher seltenen Outfit-Posts verbinden? Begeben wir uns also heute auf eine kleine Zeitreise an einen der recht fernen Lieblingsorte meiner Kindheit: das Schwenninger Moos, ein Regenmoor am Rande des Schwarzwalds (Baden-Württemberg), im Südwesten der Republik, nicht mehr weit in die Schweiz oder auch ins französische Elsass.

Kommt mit – ich zeig's Euch!

Naturführerin Magenta führt Euch durch's Moor


Pferde kreisen

Reitende Mädchen am Rande des Schwenninger Mooses

Von der Schwenninger Seite aus können wir uns vom Eisstadion des Eishockey-Clubs "Wild Wings" (SERC 04 e. V.) her dem Moor annähern, aber ich präferiere traditionell den Beginn von der Villinger Seite aus, da auf den freien Feldern um den 'Grenzposten' der Doppelstadt (das sogenannte 'Zollhäusle') herum immer Pferdeausritte stattfinden und sich auch andere kleine Sehenswürdigkeiten in der Umgebung befinden. Diese sollen für heute ein Geheimnis bleiben, also hinein mit uns ins Moor...


Birken sterben

Erwünschtes Absterben der schönen Moor-Birken im Schwenninger Moos

Was wir sehen, ist nicht ein vom Sauren Regen zerstörter Birkenwald, sondern der Traum meiner naturverliebten Kindheit. Das gespenstisch anmutende Absterben der Bäume ist in diesem Fall ein Zeichen der Renaturierung des Moores, denn durch den jahrhundertelangen Torfabbau ist das Moor quasi vertrocknet, weshalb sich die sonst so schönen Moorbirken ausbreiten konnten. Da diese aber noch mehr Wasser aus dem Boden ziehen, verdrängen sie die seltene und moortypische Vegetation (Verwaldung). Deshalb werden seit 1982 Wiedervernässungsmaßnahmen durchgeführt, um den Wasserhaushalt des Moores wieder in den ursprünglichen Zustand zu bringen. Die alten Entwässerungsgräben wurden mit Dämmen aus Torf und Gestrüpp verbaut, so daß der Wasserspiegel insgesamt wieder steigt und das Verrotten des nur ein Millimeter jährlich wachsenden Torfes verhindert wird. Durch den moortypischen Sauerstoffmangel sterben die Bäume ab und die ursprüngliche Vegetation typischer und seltener Moorpflanzen kann sich wieder ausbreiten: die halbkugelförmig wachsenden, torfbildenden Torfmoose zum Beispiel, die wir unter den absterbenden Birken sehen, aber auch der schöne, unter Naturschutz stehende Sonnentau (eine fleischfressende Pflanze, die mit Hilfe von Klebedrüsen an ihren Blättern kleine Insekten fängt und 'verdaut').


Sonnentau im Moor

Der Langblättrige Sonnentau (Drosera anglica)
Photo by NoahElhardt CC BY-SA 3.0

Der Rundblättrige Sonnentau (Drosera rotundifolia)
Photo by BerndH CC BY-SA 3.0

 
 Der Mittlere Sonnentau (Drosera intermedia) in der Blüte
Photo by Hajotthu CC BY-SA 3.0

Die drei einheimischen Arten des Sonnentaus.


...Torfmoose wachsen...

Torfmoose erobern ihren Platz zurück


Der Stichweiher und andere nasse Gefilde
quellen bis zum Schwarzen Meer und in die Nordsee

Malerischer herbstlicher Stichweiher im Schwenninger Moos

Zu jeder Jahreszeit schön ist der im Winter öfters vereiste Stichweiher im Moor. Das Naturschutzgebiet liegt auf der Europäischen Wasserscheide, die die Zuläufe von Rhein und Donau trennt. Das Schwenninger Moos ist Quellgebiet von gleich zwei Flüssen, die jeweils in einen der beiden bekanntesten deutschen Flüsse münden: der Stillen Musel, deren Wasser vom Moos in südwestlicher Richtung zum Marbacher Talbach und mit ihm in die Brigach fließt, bei Donaueschingen kurz hinter dem Donauzusammenfluss in die junge Donau mündet und mit ihr schließlich ins Schwarze Meer fließt; und einer Kalkmergel-Quelle innerhalb des Moores (sie liegt in einem geschützten Gebiet und ist daher für Besucher*innen nicht zu sehen), die als Ursprung des Neckars gilt und nördlich zur historischen (aber eben nicht echten) Neckarquelle fließt, der bei Mannheim in den Rhein mündet und mit ihm in die Nordsee fließt...

Natürlich verrottende Bäume im (Torf-) Stichweiher des Moores


Kleine Sozialgeschichte des Torfabbaus

„Im Frühling, wenn das Torfmachen beginnt, erheben sie sich mit dem Hellwerden und bringen den ganzen Tag, von Nässe triefend, durch die Mimikry ihrer schwarzen, schlammigen Kleidung dem Moore angepasst, in der Tongrube zu, aus dem sie die bleischwere Moorerde emporschaufeln. Im Sommer, während sie mit den Getreide- und Heuernten beschäftigt sind, trocknet der fertig bereitete Torf, den sie im Herbst auf Kähnen und Wagen in die Stadt fahren. Auf dem schwarzen Wasser des Kanals wartet beladen das Boot, und dann fahren sie ernst wie mit Särgen auf den Morgen und auf die Stadt zu, die beide nicht kommen wollen.“
Rainer Maria Rilke (1875-1926)


Durch den jahrhundertelangen Torfabbau ist das einstige Hochmoor großflächig zerstört worden. Bei einem Wachstum von nur ca. einem Millimeter pro Jahr wird es noch lange dauern, bis die ehemalige Höhe von vier Metern (!) wieder erreicht ist... aber wie es aussieht, ist langfristig eine echte Regenerierung des Hochmoores zu erwarten, wenn nicht andere Faktoren, etwa der Klimawandel, einen Strich durch die Rechnung machen. Um Moore zu schützen wird übrigens empfohlen, auf Blumenerde mit Torf zu verzichten.


Das Moor nass machen


Es führt also kein Weg daran vorbei: das Moor muss noch nasser werden und die Bäume müssen (zumindest im Zentrum der Landschaft) weg!

Idyllische Feuchtgebiete im Schwenninger Moos


Eine Weide für die Heide

„Es war eine endlose Weite, in der kein Gegenstand sich über Kniehöhe erhob und die Horizontlinie weithin durch das Moor selbst gezirkelt wurde. Sammetgrüne, olivfarbene, rostbraune und blutrote Moospolster bilden das farbenprächtige Muster des weichen schwellenden Teppichs, über den der Fuß auf die Dauer nur mühsam zu schreiten vermochte und mit jedem Schritt Wasser aus dem saugenden Riesenschwamm herauspresste. Es war eine Landschaft in der Erhabenheit und Schönheit mit dem Grauen einer trostlosen Öde dicht nebeneinander wohnten.“
Der Botaniker und Begründer der Pflanzengeographie August Grisebach (1814–1879)

Übergangsstadien: Kiefern- und Moorbirkenwald, Heidelandschaft und Ausbreitung der Torfmoose auf den geschaffenen Freiflächen

Zum neu entstandenenen Landschaftsbild kommen zu dem Birken-Moorwald und dem Grauweiden-Gebüsch nun die verheideten Flächen, auf denen das bekannte, pink blühende Heidekraut (Calluna vulgaris) wächst, was aber wie die Moorbirken nur ein Zwischenstadium darstellt. Damit sich dort nicht auch noch abermals die Birken und andere schattenwerfende und Wasser saugende Bäume ansiedeln, wird die große Freifläche von Moorschnucken, auf feuchte und karge Gebiete spezialisierte Schafe, beweidet, die besonders gerne die 'Besenheide', Birkenblätter und Kiefernnadeln essen und auch nicht im Moor einsinken. So kommt Licht auf das wieder nasser und gleichzeitig sauerstoffärmer werdende Moor und ausgemachte Moorspezialisten, unter Naturschutz stehende Pflanzen wie der Sonnentau oder die Moosbeere, seltene Spinnen und Insekten (darunter Käfer- und Zikadenarten, hübsche Moor-Schmetterlinge und Libellen), aber auch Moor- und Sumpfvögel, Reptilien wie die Kreuzotter (Vipera berus) oder die Wald- oder Mooreidechse (Zootoca vivipara) und natürlich Amphibien wie der Moorfrosch (Rana arvalis) können sich (hoffentlich) wieder ausbreiten.

Renaturierungsprozesse im Schwenninger Moos. Viele ältere Bäume sterben durch den anhaltenden Sauerstoffmangel an ihren Wurzeln und schaffen dadurch Platz für andere Pflanzen wie die moortypischen Wollgräser.

Verrottender Ast einer Moorbirke im Schwenninger Moos


Moos ohne Grenzen

„beede an dem Moosgraben, die ain auf Villinger Bann, die andere auf Schwenninger Bann, bedeuten zugleich die Erhaltung des Grabens insgemein…“ (Lägerbuch, 1703)

Von der Geschichte überholt: mit Flechten bewachsener, an eine Birke erinnernder Grenzstein zum von der Novemberrevolution 1918 hinweggefegten "Königreich Württemberg" (1806-1918) im Schwenninger Moos

Einen Wermutstropfen gab es dann doch im schönen Moor. Das waren nicht die sterbenden Birken (dabei sind sie meine Lieblingsbäume!), sondern erschreckend große Teile der einheimischen Spaziergänger*innen. Vielleicht bin ich von meinem Berliner Umfeld verwöhnt, aber ich habe selten so viele rassistische Kommentare an einem einzigen Tag aufgeschnappt.
Offensichtlich schmeckt einem auffällig großen Teil der ansässigen Bevölkerung die Vorstellung überhaupt nicht, das schöne Moor eventuell auch mit Menschen zu teilen, die nicht in der (traditionell zumindest im gegenseitigen Spott verfeindeten) Doppelstadt Villingen-Schwenningen aufgewachsen sind. "Sind wir hier auf der Balkanroute?" und "Musch (musst Du) halt AfD wähle(n)" war neben jeder zweiten Birke zu hören. Ein älterer Mann in Turnschuhen fühlte sich gar bemüßigt, mich und meine liebe Familie mit seinem modernen Walking-Stock drohend in die Ferne zeigend (wahrscheinlich hatte er mal gelernt, dass mensch nicht mit dem Finger auf andere Leute zeigt) darauf hinzuweisen, dass dort drüben auf der Wiese jemand "zu Allah bete" (ein junges, sympathisches Pärchen saß friedlich auf einer Picknickdecke) und erwartete wohl eine zustimmend-empört-nickende Reaktion und ein Kreuzchen bei der rassistischen AfD oder einer anderen rechten Partei, die in der Region traditionell ungewöhnlich stark sind, wogegen wir uns schon in meiner Schulzeit gewehrt haben (und Leute vor Ort immer noch tun). Als wir dann mit einem smarten "Na und? Warum nicht? Wo ist das Problem? Ist doch nett!" reagierten, zog er verdutzt und irgendwie frustriert ob seines misslungenen 'Gags' von dannen...

Wie Ihr wahrscheinlich wisst, liebe ich klare Ansagen:
Fahrradweg rechts, Pferde und Reiter*innen außenrum, Rassisten ins Gebüsch!
(ich musste ein wenig mit Photoshop nachhelfen ^.^)


Dabei müssten es gerade die Menschen im badischen Villingen und württembergischen Schwenningen am Besten wissen – schließlich war die erst 1972 vereinte Doppelstadt historisch weit voneinander entfernt...

Veraltete, historisch überwundene Grenzen:
Grenzstein zum ehemaligen "Großherzogtum Baden" (1806-1918) im Schwenninger Moos

Und so bleibt zu wünschen, dass sich die Bevölkerung der Region wieder ihrer großen liberalen und demokratischen, ja fortschrittlich revolutionären Traditionen besinnt (von der Badischen Revolution 1848/49 über den erfolgreichen Widerstand gegen die Atomkraftwerke Breisach und Wyhl oder frühe Hausbesetzungen von Freiburg bis nach Villingen-Schwenningen bis zum ältesten, nicht-kommerziellen alternativen Radio Deutschlands („Radio Dreyeckland“ aus Freiburg) oder freigeistigen Künstlern wie dem bekannten und skandalträchtigen Bildhauer Peter Lenk, um nur ein paar Beispiele zu nennen), für die sie eigentlich bekannt war und ihre Horizonte mal wieder ein bißchen erweitert. Letzteres gilt freilich auch für viele andere Regionen und Milieus, nicht zuletzt auch für Berlin.

Manchmal würde es schon helfen, etwas aus den in Zusammenarbeit mit dem BUND-Naturschutzbund erstellten, hübsch gemachten Informationstafeln zu lernen... ;-)


Mehr Sonne für den Sumpf

Nachdem wir trotz eher kurzem Spaziergang mehrmals ganz ohne Passkontrollen die badisch-württembergische Grenze überquert hatten, konnte ich mich wieder an den eigentlichen Highlights meiner Kindheit und Schulzeit erfreuen, auch wenn wir kürzer geblieben sind, als mir lieb gewesen ist, da nicht alle so viel Ausdauer hatten wie ich mit meinen Aber-zieh-Dir-was-Bequemes-an ("Die sind bequem!") - Stiefeletten... ;-) Auch begann die Herbstsonne unterzugehen und der beste Kuchen der Welt wartete auf uns. Da um mich herum der Nachwuchs sprießt wie die kleinen Moorfröschchen im Sommer, möchte ich mich aber schon mal als Naturführerin andienen, die den Kleinen etwas über die komplexen Zusammenhänge der Natur wie auch über ein respektvolles Miteinander in den sozialen und globalen Beziehungen beibringen könnte.

In diesem Sinne: mehr Sonne für den Sumpf!


Es werde Licht im Moor


... and also the trees...

Wie ein Siegeszeichen im morbid untergehenden Wald...

Sonnenuntergang im herbstlichen Moorwald

Blick auf die umgebenden Felder und Wiesen


Mooroutfit:
Grüner Daunenmantel: Gil Bret
Weiße Handtasche mit schwarzen Polka Dots: Six
Rock: Broke + Schön
Schuhe: Riccardo Cartillone (Berlin)

Der Mantel grün wie die Torfmoose, die Handtasche schwarz-weiß gesprenkelt wie die Birkenrinde, Rock und Strümpfe schwarz wie das Moor, die Schuhe wie Kiefernnadeln, die Haare feuerrot wie die Tentakeln des Sonnentaus - so habe ich mir das ungefähr vorgestellt und ich fand, es kam ganz gut.
Was meint Ihr?

 
Reitende Mädchen am Rande des Schwenninger Mooses

Wusstet Ihr eigentlich, dass ich nicht nur Moore, sondern auch Pferde liebe?
Ich bereite mal was vor:
Coming soon: Girls & Horses
Bis dahin
Kisses
xxx
Eure
Magenta



Photo Credit:
Alle Photos von mir
(außer Sonnentau wie oben angegeben,
'Portraits' von meinen Eltern):
© STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin


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Zum aufgrund meiner Eindrücke nicht überraschenden
Wahlausgang in Baden-Württemberg siehe auch meinen Post:
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