Monday, September 21, 2015

Nacht über Tempelhof: Libertines, Refugees, Katie & Lolla

THE LIBERTINES 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Photo by Clemens Bilan (Lollapalooza Official)


Regenwolken aus England

"I am the rain, who's held in disdain
The truth is I'm ruthless, I can't be contained
Up in the sky, we've demand to supply
I am necessity, base of the recipe
I am the rain, am the rain"
PETER DOHERTY - I Am The Rain (2009)

Kurzzeitig schien es so, als sei der Auftritt der THE LIBERTINES beim Berliner Lollapalooza-Festival in Frage gestellt, nachdem direkt davor die Konzerte in London (Camden) und Manchester (Ritz) am 10. bzw. 11. September wegen gesundheitlichen Problemen von Peter Doherty ("medical situation" im offiziellen Statement) kurzfristig abgesagt wurden, darunter immerhin das offizielle Release-Konzert des ersten Libertines-Albums seit elf Jahren, "Anthems For Doomed Youth", im Londoner Electric Ballroom (zur Absage siehe auch den New Musical Express), was – auch wenn betont wurde, es handele sich nur um eine Vorsichtsmaßnahme – angesichts der bekannten Drogenprobleme von Doherty durchaus Schlimmstes befürchten ließ.
In London ließ man die Fans bis kurz vor Mitternacht warten, bevor die Absage kam (vermutlich wurde noch alles versucht; oder wollte man einen Riot provozieren? ^.^) und eine von Bierbechern übersäte Bühne und teils verärgerte, größtenteils jedoch verständnisvolle Fans hinterließ (die Konzerte werden natürlich nachgeholt). In den Fan-Foren vertraten erfreulich viele den Standpunkt "Fuck the gigs, health comes first!", was mir die Crowd gleich sympathisch machte.

Da ich fast ausschließlich wegen den Libertines auf das Lollapalooza-Festival wollte (was im Unterschied zu den Auftritten in UK ja auch nicht nachzuholen gewesen wäre) und schon seit Wochen im Freudestaumel war, war ich allerdings gelinde gesagt nicht unbedingt erpicht darauf, jetzt Zeugin eines jener legendären, in einer Absage oder im Chaos endenden Libertines-Konzerte zu werden, auch wenn ich das (zumindest wenn es nicht um die Gesundheit geht) prinzipiell ziemlich lustig finde und für mich einfach zur Band, zum Punk und zum echten Leben gehört...


Horrorshow

Aber es ist alles gut gegangen, und während Heerscharen der den Samstag deutlich dominierenden 'Deichkind-Fraktion' bereits anfingen, feiernd und glücklich das Festivalgelände vor dem alten Flughafen Tempelhof zu verlassen, betraten – nach der üblichen Einleitung mit Vera Lynn's weltberühmtem "We'll Meet Again" (1939) – die vier Libertines als letzter Live-Act des ersten Tages die vergleichsweise 'kleine' Alternative Stage (mit ohne Videoleinwänden und auch von Seiten der Band unter Verzicht auf jegliches Spektakel, wenn wir von dem schicken roten Banner mit der Riot-Police vom Cover ihrer ersten Platte "Up The Bracket" absehen) und es zeigte sich von den ersten Sekunden an, dass Peter Doherty sich gut erholt hatte und es der Band weder an Energie noch an der nötigen Aggression fehlte: kaum auf der Bühne, kickte Doherty zu den ersten Takten von "Horrorshow" mit einem beherzten Schuss einen Bierbecher zurück ins Publikum, kurz darauf trat er seinen Mikrophonständer um, da wusste ich sofort: es kann losgehen, das wird gut! Und so war es dann auch:

THE LIBERTINES "Horrorshow", 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Video from YouTube-Channel kronosprojekt
Turn up loud!

Da ich mit einer schwangeren Freundin unterwegs war, positionierten wir uns anfangs an einem sicheren 'Ehrenplatz' in der Mitte (in etwa die Sicht des gerade gesehenen Videos; herzlichen Dank nochmal an die Frauen von der Security dort!), aber mich hielt schnell nichts mehr und ich musste dringendst nach vorne. Da das Interesse an den Libertines vergleichsweise gering war (kein Wunder, da das Line-Up mit 'Headlinern' wie Deichkind, Seeed etc. oder den parallel zu den Libertines auftretenden Macklemore & Ryan Lewis und Fatboy Slim ja in eine ganz andere Richtung ging und die Libertines da eigentlich nicht so gut reinpassten), war es auch kein Problem ratzfatz nach ganz vorne zu kommen, um solche Doherty-typischen Diven-Szenen nicht mehr aus der Nahsicht zu verpassen. Für mich war es keine Frage, dass ich mich auf der linken Seite durchschlängeln würde, bis ich dann in lustiger Gesellschaft etwas links von Doherty (fast front row) ankam. Also nochmal "Horrorshow", diesmal mit Direktsicht auf Pete und die Mikrophon-Attacke (^.^) (interessant auch, wie unterschiedlich der Eindruck über zwei verschiedene Filmpositionen und klangliche Aufnahmequalitäten ist):

THE LIBERTINES "Horrorshow", 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Video from the YouTube-Channel Radio M
Turn up loud!

Dohertys etwaiger Unmut über den anfangs tatsächlich noch suboptimal abgemischten Gesang wurde auf alle Fälle schnell erhört, denn mit dem Sound gab es danach zumindest in den vorderen Reihen nix mehr zu meckern (außer dass es, wie Musik heutzutage so oft, zu leise war!!! *lach*)! Doch auch von Besucher*innen gab es Beschwerden über den Sound, wobei ich vermute, dass dies vor allem in den Reihen weiter hinten auch damit zusammenhing, dass dort ständig der Macklemore & Ryan Lewis-Auftritt störend herüberwehte, oder wie es jemand auf Facebook böse ausdrückte: "Libertines? Das war das Konzert mit dem Sound von Macklewieheißternoch auf der Main Stage, oder?" Ich hab das da vorne nicht mehr gehört. ;-) (^.^)

Und da Doherty das eigentlich sowieso fast immer macht, ist das wohl auch weniger eine Frage der 'individuellen Schuld der Mikrophone'... denn mit Mikrophonen, Kabeln und Technik stand die Band ja schon immer auf Kriegsfuß... während das Publikum – soviel sei schon vorweggenommen – die faulen Hintern auch schon einmal mehr dazu bewegt hatte als in Berlin... Daher "Horrorshow", die Dritte (nein, das ist nicht 1977, das ist von 2002!!!):

THE LIBERTINES "Horrorshow", Live at the Rhythm Factory, London, X'mas 2002.
Video via the YouTube-Channel of vanessa4886
Turn up loud!


The Good Old Days

"But if you've lost your faith in love and music the end wont be long
Because if its gone for you then i too may lose it and that would be wrong"
THE LIBERTINES - The Good Old Days (2002)

Nein, es war alles andere als eine Horrorshow. Aber eine Band, deren gesamte Geschichte vor der Reunion 2010, also von der Gründung 1997 bis zur (inoffiziellen) Auflösung 2004 auf Wikipedia charmanterweise in den beiden Kapiteln "Der Abstieg" und "Das Ende" zusammengefasst wird (ich hatte mich darüber schon in meiner Band-Vorstellung lustig gemacht) darf ihre Konzerte auch mit einem Song namens "Horrorshow" beginnen – und macht dies übrigens schon das ganze Jahr über. Und wie grandios die Band auch in dieser Berliner Nacht war, kommt gerade auch in einem soundtechnisch weniger perfekten Video zur Geltung, der wunderschön gedreht ist und das Kamera-Mikrophon von Filmer Mikey Clay fast zum Bersten brachte. Die 'Lolla'-Version von "The Good Old Days", meines Erachtens eines der besten Lieder der Gruppe, in einer atemberaubenden Version (hier wurde dann auch fleissig mitgesungen, aber es war auch schon das letzte Stück vor den Zugaben): Hören und sehen wir selbst, was Peter Doherty – noch Anfang des Jahres in einer Reha-Klinik in Thailand – zum Thema und zu seinem Zustand zu sagen hat, gepaart mit den besten 'Gitarrensolos', die ich seit den Butthole Surfers (einer der wenigen Bands, der ich überhaupt erlaube, Gitarrensolos zu spielen) gehört habe (zweimal nicht länger als ca. 20 Sekunden, das muss so!!!):

"Tried so hard to keep myself from falling
Back into my bad old ways
And it chars my heart to always hear you calling
Calling for the good old days
Cos there were no good old days
These are the good old days!"

THE LIBERTINES "The Good Old Days", 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
filmed by YouTube-Channel MikeyClay who just has the right spirit:
"I sometimes wish I could bring a proper camera to gigs, but on the other hand it's great not having to worry too much about equipment and just being able to enjoy the gig. And this little camera might be old and battered, but it still does a good job."
Thanx so much, Mikey, this is amazing!!!
Love it!

... denn:

"And its not about, tenements and needles
And all the evils in their eyes and the backs of their minds
Daisy chains and school yard games
A list of things we said we'd do tomorrow
List of things we said we'd do tomorrow!"

Auch das nochmal, diesmal in einer sehr 'sauberen' Version, professionell gefilmt vom französischen Fernsehen auf dem Rock en Seine-Festival zwei Wochen vorher, weil in diesen Aufnahmen endlich mal der geniale Drummer Gary Powell (von dem wir ohne Kameras und Leinwände ja leider fast nur akkustisch etwas mitbekommen) in Aktion zu sehen ist (wie auch der sich in seiner notorischen "Ich-bin-garnicht-da"-Attitüde dermaßen zurück haltende, tolle Bassist John Hassal, dessen 'britisches Understatement' so cool ist, dass ich immer Angst habe, er würde plötzlich im Bühnenboden versinken und nie mehr zurückkommen ^.^) und um zu verdeutlichen, wie 'dreckig' das Berlin-Konzert eigentlich im positivsten Sinne des Wortes war:

THE LIBERTINES "The Good Old Days", 29. Aug. 2015 live @Rock en Seine Festival, Saint-Cloud, France
Turn up loud!


THE LIBERTINES live @Rock en Seine (29. Aug. 2015)

Da keine der für die selbsternannte 'Kulturhauptstadt' Berlin peinlich wenigen bekannt gewordenen Aufnahmen des Berliner Konzertes (ich habe extra noch ein bißchen abgewartet, es scheint keinen Zuwachs mehr zu geben) auch nur im Geringsten an die Qualität herankommt, die das französische Fernsehen nur zwei Wochen vorher gemacht hat, und die Band dort ebenfalls einen wunderbaren Auftritt (vor deutlich größerem und fröhlicherem Publikum) gespielt hat, hier das Video vom kompletten Konzert dort, das eine musikalisch-klanglich-optische Freude und insgesamt sicherlich besser in der Lage zu transportieren ist, wie gut die Band tatsächlich immernoch bzw. gerade ist (die Setlist ist übrigens mit kleineren Abweichungen weitgehend ähnlich zum Auftritt beim Lollapalooza-Festival):

THE LIBERTINES live, 29. Aug. 2015 @Rock en Seine Festival, Parc de Saint-Cloud, France

0:00 We'll Meet Again
(Vera Lynn song)
1:40 - Horrorshow
4:55 - Vertigo
8:00 - The Delaney
10:40 - Can't Stand Me Now
14:35 - Time For Heroes
17:17 - Fame And Fortune
21:05 - Music When the Lights Go Out
25:20 - Begging
28:23 - What Katie Did
32:50 - Gunga Din
36:45 - Boys in the Band
41:05 - The Ha Ha Wall
44:38 - The Last Post on The Bugle
47:24 - Death on The Stairs
52:30 - Tell the King
55:55 - Anthem for Doomed Youth
1:01:55 - The Good Old Days
Encore
1:09:55 - Barbarians
1:13:25 - Up The Bracket
1:18:40 - France
1:21:02 - I Get Along
1:25:30 - Don't Look Back Into the Sun



♥ Welcome To The Free World! ♥

Peter Doherty, 12. Sept. 2015 @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Photo © by pitpony.photography (CC-BY-SA-3.0) pitponyphotography (Facebook)

Zwischen diesen beiden Eckpunkten des regulären Berliner Sets, dem fulminanten Einstieg mit "Horrowshow" und dem bombastischen "The Good Old Days" als Abschluss vor den Zugaben, fehlte es wahrlich nicht an weiteren Höhepunkten. Ganz besonders gefreut hat mich, dass die Band das schon recht früh gespielte Stück "Music When The Lights Go Out" (eigentlich eine Art Liebeslied) zu einer kurzen Begrüßung der Refugees nutzte und den so umgewidmeten Song dann mit dem nicht unklugen Zwischenruf ergänzte: "Hallo everyone, welcome to the free world!" (letzteres ist auch in einem Handy-Video festgehalten (0:26), das allerdings aufgrund der Aufnahmequalität wirklich keine Freude ist). Schon vorher wurde bekannt, dass die Band Tourerlöse an die Flüchtlingshilfsorganisation MOAS (Migrant Offshore Aid Station) (siehe dazu auch meinen letzten Libertines-Post) spenden will (auch Deichkind positionierten sich an diesem Abend übrigens erfreulich deutlich mit "Refugees Welcome"-Outfits). Fein! :-)

Ansonsten war die Band nicht so gesprächig oder gar zu Scherzen aufgelegt wie auf anderen Festivals gesehen (besonders augenfällig beim Rock en Seine-Auftritt, wo Peter Doherty – wie vor allem im Zugabenblock des Konzertvideos oben zu sehen – gar nicht genug von seinen (pseudo-)französischen Scherzchen und zwischen die Songs geschobenen 'Ständchen' bekommen konnte), aber für eine kurze augenzwinkernde deutschsprachige Ansage von Peter hat es gereicht, der uns irgendwann mal als "Lieblinge" und / oder "Schätzchen" ansprach (oh mein Gedächtnis!). Vielleicht war man zunächst tatsächlich nicht ganz so gut gelaunt (bandinterner Streit lag wohl schon in England in der Luft), was aber auch über das lange Zeit ziemlich steife und wenig kommunikative Berliner Publikum zu erklären wäre, denn je mehr mitgegangen wurde, umso ausgelassener wurde auch die Band (siehe den nächsten Abschnitt und vor allem die Videos zum Konzertende ganz unten).


Is Katie a better girl than you?

Carl Barâts Gesichtsausdrücke während "What Katie Did"...
THE LIBERTINES live, 12. Sept. 2015 @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Screenshots taken by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin from the YouTube-video filmed by MikeyClay

Wie gut sich auch die neuen Stücke in das Set einfügen, wurde in einem schönen, etwa in der Mitte des regulären Berliner Konzertes liegenden, etwas 'ruhigeren' Block deutlich, als der von Carl Barât gesungene, lustige Band-Klassiker "What Katie Did" (was das Mitsingen angeht, der absolute Publikumsrenner in Berlin, auch das hat Mikey Clay als Filmchen festgehalten) in einem wunderschönen Übergang perfekt in die im Juli erschienene, sehr persönliche, selbstkritisch-optimistische Single "Gunga Din" überging (dessen Zeile "You're a better man than I" auch literarisch-antikoloniale Referenzen enthält, aber das würde für heute zu weit führen...).
Auch dazu wurde immerhin (zumindest ein bißchen) mitgesungen, was Konzertbesucherin Mia Lia aufgenommen hat:

THE LIBERTINES "Gunga Din", 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Video filmed by YouTube-Channel Mia Lina


"Woke up again to my chagrin
Getting sick and tired of feeling sick and tired again
I tried to write, because I got the right
To make it look as if I'm doing something with my life
Got to find a vein, it's always the same
And a drink to ease the panic and the suffering
I woke up again
Dreamt of Gunga Din

Oh, the road is long
If you stay strong
You're a better man than I
You've been beaten and flayed
Probably betrayed
You're a better man than I


Woke up again to my evil twin
The mirror is fucking ugly and I'm sick and tired of looking at him
Been up all night, I'll probably pick a fight
'Coz I can't help it, I'm bastard in the morning
So I try to write, I think I have the right
A little drink-y now and then to help me just to see the light
Just another day, it feels like nothing's changed
Oh fuck it, oh here I go again...


Oh what are you doing, you stupid fucking idiot?
Wake up!
Hey!"

... und Peter Dohertys typische unsicher-fragende-oder-vorwurfsvoll-strafende-ja-was-eigentlich-Blicke in Richtung Carl... ;-)
THE LIBERTINES live during "Last Post on the Bugle", 12. Sept. 2015 @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
From the video by Mikey Clay, screenshot by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin


Time For Heroes

"Did you see the stylish kids in the riot?"

A young 'Libertinista' dancing on top of the crowd @Reading Festival 2015, England
Screenshot by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin

Noch ein Szenenwechsel: um uns nicht unnötigerweise auf mehr oder weniger private Aufnahmen aus Berlin zu beschränken, und auch um zu zeigen, wie ein Festival-Auftritt der Libertines auch aussehen kann, springen wir mal kurz zum Reading-Festival. "Time For Heroes", noch so ein Lieblingslied von mir, haben sie natürlich auch auf dem Lollapalooza-Festival gespielt und es war keinen Deut schlechter, eher noch besser. Aber schauen wir uns doch dazu mal die englische Party-Crowd in diesem zweiten (in diesem Fall von der BBC gedrehten) kompletten Konzert-Mitschnitt an (falls folgende direkte Vorspul-Links nicht funktionieren sollten, bitte einfach manuell zu "Time For Heroes" in Minute 17:35 vorspringen, direkt im Anschluss folgt dort eine schöne Version des in Berlin den Refugees gewidmeten "Music When The Lights Go Out"):


THE LIBERTINES live @Reading Festival (2015)

THE LIBERTINES live @Reading Festival 2015 (full concert by BBC)

2:12 Horrorshow 5:24 Vertigo 8:25 The Delaney 11:00 Can't Stand Me Now 14:53 Campaign Of Hate 17:35 Time For Heroes 21:15 Music When The Lights Go Out 24:37 Gary Drum Solo - Begging 28:43 What Katie Did 33:08 Gunga Din 36:00 The Boys in The Band 40:24 The Ha Ha Wall 43:42 You're My Waterloo 48:54 The Last Post On The Bugle 51:36 Death On The Stairs 56:22 Tell The King 1:00:02 Anthem For Doomed Youth 1:04:45 The Good Old Days 1:11:43 Fame And Fortune 1:14:41 Up The Bracket 1:17:36 What A Waster 1:20:36 Don't Look Back Into The Sun 1:25:00 I Get Along




Red flames & skies over Reading Festival during "Time For Heroes" by THE LIBERTINES
Screenshots from the BBC concert movie by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin


Cheers! A 'Libertinista' making party @Reading Festival 2015
Collage of screenshots by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin


Barbarians - Anthems For Doomed Berlin Youth

"Nowhere in the institutions
Did they teach that revolution
Was something that could ever come to pass
Oh we tried one, once before
Was the king's head on the floor
And we got booted out the boozer
Cause someone smashed the glass"
THE LIBERTINES - Anthem For Doomed Youth (2015)

Peter Doherty & Carl Barât from THE LIBERTINES, 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Photo © by pitpony.photography (pitponyphotography (Facebook)) (CC-BY-SA-3.0)

THE LIBERTINES "Last Post On The Bugle", 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Video filmed by YouTube-Channel MikeyClay

Das Argument, in Reading seien ja auch viel mehr Leute gewesen, lasse ich übrigens nicht gelten: auch beim Berliner Festival waren Zehntausende, von denen sich eben nur ein Bruchteil überhaupt für das Konzert interessiert hat. Und Stimmung ist auch keine Frage der Masse, wie schon das dritte "Horrorshow"-Video (von 2002) oben gezeigt hat.

Für meinen Geschmack viel zu wenig goutierte Highlights des Berliner Konzertes waren auch das unglaublich aufgedrehte "Last Post On The Bugle" (auch das hat Mikey Clay als beeindruckendes Video mit deutlich überdrehtem Sound festgehalten und weil wir dort mal mehr von Peter Doherty zu sehen bekommen, habe ich es hier oben quasi 'trotzdem' hinterlassen) und "The Ha Ha Wall", zwei meiner – 'nebenberuflichen' Hörer*innen (*Scherz auf meine Kosten*) vielleicht weniger bekannten – Favoriten vom zweiten Album, aber auch das großartige "Barbarians" von der neuen Platte (zu hören in dem phantastischen und äußerst witzigen Zugabenblock des Videos vom Auftritt bei Rock en Seine weiter oben), ein Stück, welches für mich bereits jetzt zu den neuen Klassikern zählt, das wir hoffentlich noch oft live zu hören bekommen:

"This one's for your heart and for your mind
The melodies in 4/4 time
You get it right and it rings true

And now they're coming out in droves
Out of the burrows to the shows
(There's nothing else to do)

All I want is to scream out loud
And have it up with a mental crowd
Cause I believe somehow
The world's fucked but it won't get me down"
THE LIBERTINES - Barbarians (2015)


Don't Look Back Into The Sun

Das eigentliche Manko des Berliner Konzertes war nicht die Band, sondern das insgesamt über weite Strecken lahme Publikum. Nur bei großen Hits wie "Can't Stand Me Now" und gegen Ende tauten die Leute richtig auf (es war derweil tatsächlich auch kühl und windig geworden), das war ein bißchen schade. Eine wirkliche Party, ein fröhlicher Riot, wie auf den Festivals in Frankreich oder England, kam so nicht zustande, wobei Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen. In meinem Umfeld waren es zum Beispiel meine lustigen Tanz-Nachbarinnen, die wirkliche Party-Laune verbreitet haben, sich ihre reingeschmuggelten eleganten Weingläser aus Glas (!) vollschütteten und so Subversion, Style & Party springend und hüpfend verbunden haben...
Und zu guter Letzt kam auch die restliche Berliner Crowd noch in Bewegung, und dann wurde doch noch richtig abgetanzt und gesungen:

THE LIBERTINES "Don't Look Back Into The Sun", 12. Sept. 2015 live @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
from the YouTube-Channel of Eduard Ilie
Turn up loud!

Eine teils schärfere und klanglich sogar bessere Aufnahme, die auch das schöne Intro und den Schluss enthält, hat Mia Lina gemacht, aber wegen ihres ungünstigeren Kamerawinkels und da ich schon einen Video von ihr gepostet habe, habe ich mich schließlich für den obigen entschieden, auch weil dort das hüpfende und mitsingende Publikum besser raus kommt. Ihre Version ist hier:

... und dann, als quasi alles vorbei war, Unmengen von Gitarrenplektren, Drumsticks & eine für eine bloß vierköpfige Band exorbitant große Anzahl von Setlists ins Publikum geworfen wurde, die Band sich mit ihren fast schon zum Markenzeichen gewordenen albernen bunten Bad-Taste-Sonnenbrillen und Arm in Arm strahlend und lachend verabschiedete (begleitet von Peters abschließenden Attacken auf alles, was sich für einen Mikrophonständer hält und den üblichen Abschieds-Scherzchen von Gary Powell) war dann doch noch zu hören, worauf ich das ganze Konzert über weitgehend vergeblich gewartet hatte:

♥ Hysterie! Kreisch! Yeah!!!

"the last moments of the libertines' performance at lollapalooza berlin"
THE LIBERTINES, 12. Sept. 2015 @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
from the YouTube-Channel of deevuch
(^.^) Turn up very loud! (^.^)


Balloons & Ballerinas

Mönsch, Börliners, geht doch!!! (^.^) Warum braucht ihr denn so lange, um aufzutauen? Auch wenn auf dem 'Lolla-Dingens-Festival' (wie es schnell scherzhaft genannt wurde) zumindest beim Libertines-Auftritt kein fröhliches Meer aus fliegenden Luftballons zu sehen war wie beim Rock en Seine-Festival (in Berlin hat es nur für einen überdimensionalen Fußball gereicht, der dann wenigstens auch mal auf die Bühne hoppelte und anschließend wieder dem Publikum übergeben wurde ♥), auch wenn es keine Bengalo-Orgien gab wie beim Reading-Festival, auch wenn ich die pogenden Massen genauso vermisst habe wie die lachenden Gesichter, die tanzenden, jede Textzeile kennenden und kreischenden 'Girls', eines hatten die Besucher*innen dieser großartigen Konzerte mit Sicherheit nicht: eine Heißluftballon-Akrobatin, eine über unsere Köpfe in die Nacht fliegende Ballerina! ♥♥♥

Fliegende Ballon-Ballerina (LollArt Closing Ceremony), 12. Sept. 2015 @Lollapalooza Festival, Berlin-Tempelhof
Photo by Matias Altbach (Lollapalooza Official)


In die Nacht und darüber hinaus...

"I am the rain
Held in disdain
Lotions and potions just add to my fame...

My friend the wind
To breath he is twinned
Blow high or low high
Tornadoes to spin...

Up in the sky, we've demand to supply
I am necessity, base of the recipe
I'm the rain"
PETER DOHERTY - I Am The Rain (2009)

Fazit: tolles Libertines-Konzert, Band in super Verfassung, Berliner Publikum aber sehr mau. Für die Zukunft dann vielleicht doch in einer kleineren Halle, wenn die Band hier nicht so viele Fans wie in Frankreich oder England hat, die das auch zu würdigen und zu befeiern wissen. Immerhin – ich möchte zum Abschluss schon noch einmal daran erinnern – ist das Berlin-Konzert durch die Absage in London letztlich zum globalen Record-Release-Konzert ihrer ersten Platte seit 11 Jahren geworden!

Vielleicht lag's auch am Line-Up des Lollapalooza, denn auch wenn ich persönlich Vielfalt sehr schätze, ist es halt trotzdem die Frage, wer eine Festival-Karte kauft, falls nur ein kleiner Teil der Bands pro Geschmack von Interesse ist. Aus Sicht vieler Libertines-Fans stimmte so vermutlich einfach nicht das Verhältnis von Eintrittspreis und restlichem Line-Up (mir ging's jedenfalls so). Oder andersherum ausgedrückt: für das Gros der Besucher*innen waren die Libertines sicherlich nicht der Headliner des Samstags und das war dann leider auch in vielerlei Hinsicht zu spüren. Und so musste ich mir auf der Rückfahrt in der S-Bahn ein bißchen die Ohren zuhalten, um die Libertines-Hymnen in mir nicht von den für meinen Geschmack schrecklichen Liedern der überglücklichen Deichkind-Fans übertönen zu lassen... *lach*. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten – und wenigstens deren Fans haben Party gemacht (und nicht nur das muss ich ihnen zu Gute halten)! :-)

Überglücklich, ein geniales Konzert einer der in meinen Augen besten aktiven Indie- / Alternative- / (Post-)Punk-Bands gesehen zu haben, wäre ich allerdings trotzdem weitaus lieber in einem Abteil voller 'Libertinistas' gesessen, die zusammen mit Chaîne de RoUquInaSse aus Frankreich auf dem Heimweg zum Beispiel das gesungen hätten:

PETER DOHERTY - I Am The Rain
(from his solo album "Grace / Wastelands" (2009), written by Peter Doherty & John Robinson),
interpreted by Chaîne de RoUquInaSse

Berliner*innen, das üben wir noch!
Wir haben jetzt bis Februar Zeit, dann kommen die Libertines in die Columbiahalle!
Ich bin auf alle Fälle wieder höchst gerne dabei!
Es war wunderschön.
xxx
Eure Magenta
STYLE! IT! TAKES! Berlin


Special thanx to Berlin concert visitors kronosprojekt, Radio M, MikeyClay, Mia Lina, Eduard Ilie, Andrea Biczó, deevuch & fldot as well as vanessa4886 (Rhythm Factory video) & Chaîne de RoUquInaSse (lovely Doherty Cover) for their amazing movies (same goes to the photographers and to the French & British TV stations).

Mein Rückblick auf das auch in vielerlei anderer Hinsicht sehr schöne Lollapalooza-Festival findet sich in meinem Artikel "Der NS-Tempel wird zum bunten Lolla-Schmetterling", wo es auch wunderschöne Photos und Impressionen vom vielfältigen Programm und anderen Highlights zu sehen gibt. ♥


Weiteres zum Thema / Related articles*
*mostly in German, but all with beautiful pics & videos:
(Introduction into The Libertines)*
Der NS-Tempel wird zum bunten Lolla-Schmetterling
(Lollapalooza Festival Review, Sept. 2015)*
Song of the Day: You're My Waterloo
(The Libertines song & various beautiful versions)

Saturday, September 19, 2015

Der NS-Tempel wird zum bunten Lolla-Schmetterling

Wunderschön beleuchteter Eingang von Ernst Sagebiels NS-Bau während des Lollapalooza-Festivals
so sieht's doch gleich sehr viel einladender aus! :-)
Der ehemalige Zentralflughafen Tempelhof @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by FB Lollapalooza Official

Auf einer meiner U-Bahn-Fahrten zum Lollapalooza-Festival auf dem alten Flughafen Tempelhof sprach mich ein fröhliches, buntbemaltes Mädchen an, die mit ihrer netten Mutter neben mir auf der Bank saß und fragte mich: "Was bin ich?". Während ich noch ihre Gesichtsbemalung bemusterte, half sie mir schon auf die Sprünge: "Erst ist es ne Raupe und dann...". Sie kamen in umgekehrter Richtung vom wahrscheinlich buntesten Festival, das der olle Flughafen mit dem abscheulichen Monumentalbau von Nazi-Architekt Ernst Sagebiel (siehe Kasten weiter unten) bisher erlebt haben dürfte. Und dem jungen Mädchen gelang, womit selbst viele Erwachsene ihre Schwierigkeiten hatten (und sich mit Ausflüchten wie Lolladingens-Festival zu retten versuchten) - die beinahe korrekte Aussprache des etwas sperrigen Festival-Namens! Als sie ein Plakat in der U-Bahn entdeckte, genügten ihr drei Anläufe: "Lo-la, Lolla-pa, Lollapa-lozza!" – mit nach getaner und bravourös verrichteter Lesearbeit entschiedener und sichtlich erleichterter Betonung auf ein kurzes und knackiges o. Lozza, jawoll! Ich hätte ihr natürlich noch erklären können, dass die im comichaften Logo übereinander gestapelten oo im Englischen wie ein u gesprochen werden, aber es hätte die Gefahr bestanden, dass ich gesagt hätte: "Wie in Goofy!" und sie mich gefragt hätte, wer Goofy sei und damit eventuell schon wieder in eine verlegene Situation gebracht hätte... ;-) (kleine Umfrage unter meinen unter 15-jährigen Blog-Leser*innen: "Kennt Ihr noch Goofy???" Nun ja, vielleicht doch... über Kingdom Hearts...? ^.^ ).


[Bald kommt mein 'Ausleih-Baby' zur Welt, dann bin ich künftig hoffentlich wieder besser auf dem Laufenden über die fabelhafte Welt der 'unter 15-jährigen'...]

Mit dem Festival jedenfalls verhielt es sich ein bißchen wie mit der Geschichte von dem Mädchen: "Erst ist es ne Raupe, und dann ist es..." ein bunter Schmetterling (wie ich dann mit Blick auf die blau-goldenen, geschwungenen Flügel auf ihren Backen, den über ihre Nase verlaufenden Schmetterlingskörper und die auf ihrer Stirn befindlichen Fühler geschwind und wenig schlagfertig, aber immerhin zu beiderlei Zufriedenheit, ergänzte)!. Oder, da ich nicht beim Aufbau, sondern beim Abbau dabei war und so das imposante Meer von sich über die ehemaligen Landebahnen grabenden Lastwagen, Gabelstaplern, Kränen und, teils fast schon an polizeiliche oder militärische Räumpanzer erinnernden, Spezialfahrzeugen und die damit verbundene, ganz schnöde, proletarische Schwerstarbeit von einer ganzen Bau- und Kultur-Fabrik Hunderter mehr oder weniger prekärer Arbeiter*innen 'bewundern' konnte, vielleicht auch umgekehrt...

Dennoch und gerade deshalb, für das kleine Mädchen und die vielen tollen Menschen, die das alles ermöglicht, aufgebaut, bespielt und anschließend wieder abgebaut haben:

Impressionen eines wunderschönen Festivals.


Ein Festival für alle

StreetArt @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by Clemens Bilan

Sweet, aber noch komplizierter auszusprechen: der-die-das Kidzapalooza @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by Alexander Koerner


... ganz ohne Schlamm

Aufgrund der aus großen Asphalt-Platten bestehenden, vergleichsweise High-Heel-freundlichen Landebahnen verlief das Lollapalooza-Festival auch ganz ohne Schlammschlachten, wie sie von anderen Festivals bekannt sind, etwa in diesem legendären Photo vom Glastonbury-Festival:

Peter Doherty (THE LIBERTINES) und seine damalige Freundin, Model Kate Moss, waten durch den Schlamm des Glastonbury-Festivals 2005
Paparazzo-Photo, u. a. auf Virginmedia.com

Absurdes Detail am Rande: beim Abbau erzählte jemand, dass nicht nur das Flughafen-Gebäude, sondern auch diese Asphaltplatten unter Denkmalschutz stünden, was konkret bedeutet, dass sie nach dem Festival wieder von den hübschen Streetartmalereien gereinigt werden mussten, damit der Nazi-Beton wieder schön glänzt... verrückte Welt! Da hoffe ich doch schwer, dass ich mit meinen Absätzen wenigstens ein paar Steinchen gelockert habe...


Architekten des Lichts - Im Luminarium

Im Luminarium auf der LollaFunFair @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by Alexander Koerner

Ähnlich wie in einer Moschee oder in einem Zelt zieht mensch in einem Luminarium die Schuhe aus.
Islamische und gotische Architektur (Kathedralen) sind neben der Natur Inspirationen für die Luminarien der Architekt*innen. Zwei Besucher*innen haben es sich gemütlich gemacht.
Cut-out (Ausschnitt) from a Photo by Alexander Koerner

 
Nicht auf der oder dem Lollapalooza, aber weil ich das Outfit der Performerin vorne so schön finde:
eine Performance (2012) im Luminarium Mirazozo (noch so ein seltsames Wort... passt gut in die Wortfamilie Lollapalooza & Kidzapalooza... ^.^), das auch in Berlin aufgebaut war
Photo by John Aho
(original title: Mirazozo-with-Transfix-Mesa via http://www.architects-of-air.com)

Schöner Film über die Luminarien (ich hoffe, das ist der richtige Plural, oder heißt es Luminarii?) von www.architects-of-air.com

Luminarium Situation

Photo by beeftink via www.architects-of-air.com

Wunderschöne, von der Natur inspirierte Details
Photo by Geoffrey Fielding ("levity-ii-centre-dome-hi-res")


Kunst & Lustiges - Art & funny things

LollArt @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by Alexander Koerner

... und alle Sorten von das Gelände überqueerenden lustigen Vehikeln...
Photo by Stephan Flad (Ausschnitt / Cut-out by me)


Flower Power - Make fashion, not war!

Blumenkränze machen @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by Clemens Bilan

Taschen machen auf der Fashionpalooza @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by Clemens Bilan

Best Festival Bag: "Fuck Forever" ist ein Song der Babyshambles,
der Band von Peter Doherty (THE LIBERTINES)
Photo by Clemens Bilan (Ausschnitt / Cut-out)

Best Dressed Couple: Etty Lau Farrell (Tänzerin & Sängerin bei Satellite Party) & Perry Farrell (Gründer des Lollapalooza Festivals, Frontmann von Jane's Addiction, Porno for Pyros und Satellite Party)
@Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Photo by Patrick & Elisa Essex

   
Riot Grrrls in Golden Skirts:
Best Dressed Kid (links) &
Most Stylish Musician: die tolle Gitarristin Ellie Rowsell von Wolf Alice (rechts)
Photo of Kidzapalooza by Zwergstadt UG (Cut-out, Ausschnitt), Photo of Ellie Rowsell (Wolf Alice) by Frank Hoensch


Den Nazi-Ungeist austreiben

Der ehemalige Flughafen Tempelhof @Lollapalooza-Festival Berlin 2015:
Ein riesiger Zirkus vagabundierender 'Zigeuner*innen' ♥
Wenn das 'der Führer', NS-Architekt Ernst Sagebiel oder der Generalbauinspektor und Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer wüßten würden sie vermutlich und hoffentlich gleich wieder sterben... wie schön! (^.^)
Text by me (STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin)
Photo by Stephan Flad


Kleine Geschichtsstunde zum Flughafen Tempelhof

Der 1923 eröffnete ehemalige Flughafen Tempelhof hatte keinen guten Start, denn just an dem Tag, an dem die Baugenehmigung erteilt wurde, stürzte bei der anschließenden Vor-Ort-Besichtigung ein Flugzeug über der Hasenheide ab, wobei zwei Magistratsmitglieder tödlich verunglückten. Der trotzdem gebaute und in verschiedenen Bauabschnitten 1924-1928 ausgebaute Flughafen entwickelte sich dann in der Weimarer Republik zum europäischen Spitzenreiter in Bezug auf das Verkehrsaufkommen, dessen Grenzen bald erreicht waren, so dass schon 1930 ein Neubau geplant wurde.

Nach der Machtübernahme der Nazis wurde das Flughafengebäude von dem NSDAP-Architekten und SA-Mitglied Ernst Sagebiel (1892-1970) in seiner heute bekannten strengen Form für die geplante 'Reichshauptstadt Germania' (so sollte Berlin heißen!) umgebaut (Planung ab 1934, Bau ab 1936, unvollständige 'Fertigstellung' 1941) und war kurzzeitig das flächenmäßig betrachtet größte Gebäude der Welt, bevor es 1943 vom Pentagon (bis heute Hauptsitz des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums) in Arlington bei Washington abgelöst wurde.

Sagebiel war zuvor mit dem Bau zahlreicher Kasernen befasst (an die mich auch seine Flughafen-Architektur erinnert) und wurde berühmt durch seinen (noch scheusslicheren) Bau des von Hermann Göring geleiteten Reichsluftfahrtministeriums (RLM) in der Wilhelmstraße / Leipziger Straße, das heute - vielleicht nicht unpassend - das Bundesministerium der Finanzen beherbergt und unangefochten Platz 1 meiner 'Liste der noch abzureissenden oder zu sprengenden Gebäude Berlins' belegt (noch vor dem Brandenburger Tor, siehe dazu meinen Artikel "Keine Feiertage: 3. Oktober, 9. November"). Mit diesem Ungetüm von 1934/35 gab Sagebiel noch vor Albert Speer die strenge Richtung der NS-Architektur, die so genannte "Luftwaffenmoderne", vor.

Hitler's 'Stararchitekt', der Kriegsverbrecher, Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt (GBI) und ab 1942 Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer (1905-1981) lies für die anvisierte 'Nord-Süd-Achse' der geplanten "Welthauptstadt Germania" ab 1938 Häuser und Siedlungen in Berlin-Tempelhof abreissen, obwohl (auch) damals mehr als 100.000 Wohnungen in der Stadt fehlten. Wären die Pläne nicht durch den Krieg gegen Polen (1939) und die Sowjetunion (ab 1941) gestört worden, wären für diesen Großmachtwahn 150.000 bis 200.000 Berliner*innen wohnungslos geworden. Auch wenn es nicht ganz dazu kam, wurden 15.000 bis 18.000 Wohnungen jüdischer Menschen durch Zwangsräumungen und 'Arisierungen' enteignet, die Mieter*innen vertrieben und / oder in "Judenhäuser" (NS-Jargon, auch Ghettohaus genannt) gesperrt. (Quellen zu diesem Absatz und Näheres zu Albert Speer im 'schlauesten Lexikon der Welt' Wikipedia).

Der Flughafen Tempelhof sollte ein Aushängeschild des NS-Regimes werden, und neben dem Reiseverkehr auch speziell für Flug- oder besser Luftwaffenschauen und andere NS-Massenveranstaltungen ausgebaut werden (daher auch die großen Dachtribünen, die für mehr als 100.000 Zuschauer ausgerichtet waren, aber nicht mehr in Benutzung kamen). Sagebiels Flughafen wurde niemals wirklich fertiggestellt, denn nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion 1941 kamen die Arbeiten nicht mehr so recht voran, das Gelände wurde immer mehr zur Rüstungsfabrik. Der heute bekannte Bau wurde erst nach Ende der Berliner Luftbrücke (1948/49) provisorisch 'fertig', die Eingangshalle wurde sogar erst 1962 eingeweiht und es galt – mehr als zu Recht – als geboten, die Deckenhöhe dieses albernen Monstrums durch Einbau einer Zwischendecke um sage und schreibe 10 Meter abzusenken...

Das Tempelhofer Feld – schon seit dem 18. Jahrhundert ein Paradeplatz, Exerzier- und Manövergelände für das preußische Militär – war Ort der ersten NS-Massenaufmärsche (zum Beispiel am 1. Mai 1933 am „Tag der nationalen Arbeit“, wie die Nazis den internationalen Arbeiter*innen-Kampftag perverserweise nannten). Nach Kriegsbeginn 1939 wurde aus der Baustelle Neuer Flughafen eines der weltweit größten Endmontagewerke für Bombenflugzeuge mit Tausenden von vor allem osteuropäischen Zwangsarbeiter*innen, nachdem Teile des großen Weserflug-Werkes Lemwerder (bei Bremen) nach Tempelhof verlagert wurden und auch die Lufthansa dort verschiedene Zwangarbeits-Lager und Baracken für ihre (Kriegs-)Produktion errichtete. Die überlebenden Zwangsarbeiter*innen konnten erst Ende April 1945 von der Roten Armee im Zuge der Schlacht um Berlin befreit werden. Schon im Juli 1945 übergab die Sowjetunion dann den stark zerstörten Flughafen den allierten US-Truppen, die parallel zur zivilen Nutzung des Flughafens noch bis zu ihrem Abzug nach der 'Wiedervereinigung' 1990 auch die militärische Nutzung fortsetzten.

Der Flughafen wurde nach dem glücklicherweise gescheiterten Volksentscheid für einen Weiterbetrieb 2008 endgültig geschlossen und nach dem erfolgreichen Volksentscheid 2014 gegen eine neue Bebauung endlich (hoffentlich!) den Händen der 'großen Politik' entrissen und den Berliner Bürger*innen 'übergeben' (falls es dabei bleibt, was wiederum eine Aufgabe der so genannten Zivilgesellschaft ist).

(Quellen aus den verlinkten Wikipedia-Einträgen, ausführlichere Informationen zur interessanten Geschichte des ehemaligen Flughafens im entsprechenden Wikipedia-Eintrag)

Eine persönliche Geschichte zum Abschluss:

Vor vielen vielen Jahren, als ich noch nicht in Berlin wohnte und mich auch noch nicht so mit der Stadt (oder solchen Aspekten der Stadt) beschäftigt hatte, schaute ich bei einer nächtlichen Fahrt neugierig aus einem Auto, das den (was ich damals nicht wusste) Columbiadamm entlang des nicht enden wollenden Sagebiel-Gebäudes fuhr und fragte Fahrer und Mitfahrerinnen, was das denn für ein Gebäude sei. Noch bevor die Antwort kam, ergänzte ich: "Sowas können doch nur die Nazis gebaut haben!"...
Kurz darauf sah ich dann einen dieser Adler... und diese machistisch-kraftstrotzenden, hässlichen Dinger kleben da bis heute! Wie wäre es damit, sie ins Deutsche Historische Museum oder die Topografie des Terrors zu verfrachten und stattdessen zwei bunte Schmetterlinge anzubringen? Ach, wäre ich nur Berliner Kultursenatorin oder Bundesbauministerin!

Da schaut er aber ganz schön blöd aus, der Reichsadler am Flughafengebäude Tempelhof... (photographiert von Sir James, Berlin 24. April 2008, CC BY-SA 2.0 de), denn jetzt übernehmen die Schmetterlinge! Der in Südamerika beheimatete Blaue Morphofalter kommt aus der Biologie-Abteilung der Uni-Erlangen geflattert, der Rosa Schmetterling aus der virtuellen Welt der www.tierbildergalerie.com.
Die Collage ist vom STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin, weil frau sich ja um alles selbst kümmern muss! Bei der Gelegenheit habe ich auch die Tempelhof-Fassade ein bißchen umgemauert, um ihr etwas mehr Struktur zu geben. ;-)


Nacht über Tempelhof @Lollapalooza Festival, Berlin 2015
Der hübsche, organisch-moderne und fast schon filigrane, 1982 erbaute Radarturm links im Bild hat übrigens nichts mit der Nazi-Architektur zu tun (auch das wusste ich vor meiner Beschäftigung nicht, aber er hat mir schon immer besser gefallen als das erschlagende Sagebiel-Gebäudeich hab halt auch instinktiv einen guten Geschmack...^.^). Leider wurde auch der Radartum immer militärisch genutzt, bis Beginn der 1990er Jahre von der US Air Force, heute von der Bundeswehr. :-( Noch so ein Spuk, den es zu vertreiben gilt... ;-)
Text by me (STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin)
Lollapalooza-Night-Photo by Alexander Koerner


Music When The Lights Go Out*
* Titel eines auf dem Festival den Refugees gewidmeten Songs von THE LIBERTINES

Most bombastic show: Deichkind @Lollapalooza Berlin 2015
Photo by Frank Hoensch

Refugees Welcome! Neben dem Libertines positionierten sich auch Deichkind in ihrer Show für die Flüchtlinge @Lollapalooza Berlin 2015
Photo by Jakubaszek

Noch mehr schicke Muster... Robin Schulz, Martin Garrix und Fatboy Slim on stage @Lollapalooza 2015
Photos by: Jakubaszek (Robin Schulz), Clemens Bilan (Martin Garrix), Frank Hoensch (Fatboy Slim)

A Front Row Pic (btw nice shirt in the middle!) @Lollapalooza Berlin 2015
Photo by Clemens Bilan


...und das Beste zum Schluss!

Diese Schaukeln waren toll... und hätten auch gerne über das Festival hinaus dort bleiben können... ;-) LollaFunFair @Lollapalooza Berlin 2015
Photo by Clemens Bilan

Best Concert: Peter Doherty from THE LIBERTINES @Lollapalooza Berlin 2015
(hier ist meine ausführliche Besprechung dieses großartigen Konzertes / my concert review)
Photo by pitpony.photography (CC-BY-SA-3.0)

Best Stage Look: Lauren Mayberry von den CHVRCHΞS
Photo by Frank Hoensch

Best Performance: Heißluftballon-Akrobatin @Lollapalooza Festival Berlin 2015
Photo by Matze Hielscher / Mit Vergnügen


Tempelhof - der alte Nazi-Flughafen wird endlich herrlich spacig-bunt!
Weiter so, bis die Reichsadler vom Sockel stürzen!
(^.^)


Lesetips / Reading recommendations (partly in English, w lots of pics & videos):

Pop & Elend. Elend Macht Pop (über Musik und Refugees) (Okt. 2015)
★ Keine Feiertage: 3. Oktober, 9. November (ein historisch-politisch-kultureller Streifzug durch Berlin und andere Gefilde) (Okt. 2015)
Nacht über Tempelhof: Libertines, Refugees, Katie & Lolla (Libertines Lollapalooza Konzert Review) (Sept. 2015)
Time for Heroes! THE LIBERTINES @ Lollapalooza Festival (Bandvorstellung) (Sept. 2015)
Am Weißen See in Weißensee (Sommerfeelings und eine Vorstellung der großartigen Synthie-Wave / Minimal-Pop-Band Sonnenbrandt aus Hamburg) (Aug. 2015)
(the last one is completely in English, too)


Info for photographers: I got most of these pics from the official Lollapalooza Festival pages (Lollapalooza website, official Lollapalooza Facebook) or other festival- or artist-related pages so I assume they are ok. to share. If you want me to give any other or further kind of credit / link or to remove one of your works, just let me know. In any case: thanx so much for your wonderful & great work!!! ♥

Photo info for my dearest readers: Please check out the amazing photographers, they all have their own webpages, Facebook, Flickr, Twitter etc. pages and they all spend so much (often unpaid or poorly paid) work and passion into covering all these wonderful scenes. If you share anything from them in social media, please don't forget to give them credits (at least their names, better combined with links to their pages) as I do. They all deserve it! ♥

Photographers Links (alphabetical order & what I could find):

Clemens Bilan
www.clemensbilan.de

Stephan Flad
www.stephanflad.de

Matze Hielscher
http://matzehielscher.tumblr.com/

Frank Hönsch
www.hoensch-foto.de

Jakubaszek
www.jakubaszek.com

Alexander Koerner
www.ak-oerner.de

pitpony.photography
www.facebook.com/pitponyphotography



Weiteres zum Thema / Related articles*
*mostly in German, but all with beautiful pics & videos:
Time for Heroes! THE LIBERTINES @Lollapalooza Festival
(Introduction into The Libertines)*
(The Libertines Concert Review, Sept. 2015)*
Song of the Day: You're My Waterloo
(The Libertines song & various beautiful versions)