Wednesday, August 3, 2016

Qamişlo 27 Juli 2016 - Terroropfer zweiter Klasse?

Bei einem erneuten Terroranschlag des IS (Daesh) in der kurdisch-multiethnischen Stadt
Qamişlo (Rojava, Nordsyrien) sind über 50 Menschen gestorben.
(Pic via @nothilfe 1 Aug 2016)

Eigentlich hatte ich mir seit dem IS-Massaker in Kobanê (Rojava / Nordsyrien) im Juni 2015 und den November-Anschlägen in Paris 2015 vorgenommen, hier nicht mehr über die andauernden feigen Angriffe der IS-Terroristen (Daesh) zu berichten, da die Aufmerksamkeit ein wichtiger Teil ihrer Killer-Strategie ist. Wenn ich dennoch noch einmal eine Ausnahme mache, dann deshalb, weil der verheerende Doppel-Anschlag in der nordsyrischen Stadt Qamişlo (der Hauptstadt des Kantons Cizîrê in der selbstverwalteten Region Rojava) letzten Mittwoch von den Medien weitgehend unbeachtet geblieben ist. Ob #Orlando, #Istanbul, #Nice oder #Würzburg, ob 'kleiner' oder großer Anschlag, ob Großangriff oder 'Einzeltäter', meistens gibt es Reaktionen in und aus der ganzen Welt: Trauerbekundungen, Solidaritäts- und Hilfsangebote, Gedenkveranstaltungen, Kondolenzschreiben &-besuche, öffentliche Gebäude werden in den Farben des betroffenen Landes beleuchtet, Kerzen aufgestellt, Blumen niedergelegt, Reden gehalten. Qamişlo? Fehlanzeige.

"Die Kurd*innen sind unsichtbar, wenn es um deren Leid geht. Nichts in den Nachrichtenkanälen des Westens. Entsetzlich."
"The #Kurds are invisible when it comes to their suffering, nothing on the news channels in the west. Horrible."
(@Arimurad 27 Juli 2016)


Der Anschlag
The Attack

Dabei handelte es sich bei dem Doppel-Bombenanschlag mit einem mit Sprengstoffen beladenen Lastwagen und einem Attentäter auf einem Motorrad um einen der schwersten Angriffe des IS. Die entsetzliche Wucht der Explosionen ließ selbst im benachbarten Nusaybin (Türkei) Fensterscheiben platzen.

"Photo taken from #Nusaybin (other side of the border) reveals the magnitude of explosion in #Qamishlo"
(via @KrdstnRprt 27 Juli 2016)


"Aftermath of cowardly ISIS suicide attack targeting Kurdish town of Qamishlo.
Death toll is rising. #Rojava"
(beide Photos / both pics, @agirecudi 27 Juli 2016)


Die Opfer * The Victims

Offensichtlich gibt es Terror-Opfer erster und zweiter Klasse, das läßt sich schon lange beobachten (etwa wenn es um die zahlreichen afrikanischen Opfer der mit dem IS verbündeten Terrororganisation "Boko Haram" geht oder Muslime Opfer des IS werden, was übrigens meistens der Fall ist) und um dieses tödliche und widerliche Paradigma zu durchbrechen, hier eine Erinnerung an einen Teil der Opfer des 27. Juli 2016:

Nur 30 der mehr als 50 Todesopfer von Qamişlo * Only 30 out of more than 50 victims of Qamişlo
"#Qamishlo bajarê birîna. May the souls of our victims rest in peace. #Qamishloattacks"
(@AlBjeen 30 Juli 2016)


"In solidarity with the people of Qamişlo (Rojava) on this very very sad day
#Pray4Qamishlo #Qamishlo"
(@nighttides 27 Juli 2016)


Gedenkfeier in Qamişlo
Commemoration in Qamişlo
4.09.2016




Alle vier Photos von der Gedenkfeier vom kommunalen Radio-Sender ARTA FM (später hinzugefügt).
All four photos of the commemoration by communal radio station ARTA FM (added later).
"27.07.2016
40 days passed since then and #Qamishlo, Rojavayê #Kurdistan can't forget, we are still hurt."
(alle vier Photos / all four pics, via @AlBjeen 5 Sept 2016)

"The commemoration took place on 4.09.2016 ... #Qamishlo"
(Photo by ARTA FM, via @AlBjeen 5 Sept 2016)

Bei aller Traurigkeit können wir sehen, wie vielfältig eigentlich die Gesellschaft in Rojava ist. Genau diese ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt steht im Visier der Daesh-Terroristen, aber sie werden sie nicht zerstören können. Bereits Ende Dezember 2015 kamen bei einer Serie von dschihadistischen Bombenanschlägen auf drei Restaurants in einem christlichen Stadtviertel (!) von Qamişlo mindestens 16 Menschen ums Leben. Rojava dürfte die einzige Region im Nahen Osten sein (vielleicht abgesehen von Israel und der Autonomen Region Kurdistan / Irak), in der Menschen jeder Glaubensrichtung friedlich zusammenleben können. Es gibt im säkularen Qamişlo / Rojava Kirchen, Moscheen, Atheist*innen, Jesid*innen und viele Ethnien, die im kriegsgeplagten Syrien mit viel Einsatz und unter großen Opfern zusammen eine neue Gesellschaft aufbauen und verteidigen. Warum kommt so wenig Unterstützung aus dem Westen?

 Eine blutige Tränen weinende Friedenstaube... :'-(
A peace dove crying bloody tears... :'-(
"#twitterkurds #Qamishli #qamislo"
(@AriadniCorfu 27 Juli 2016)


Türkei blockiert, Deutschland schweigt
Turkey blocks, Germany stays silent

Die Terrorangriffe werden weitergehen, in Syrien und dem Irak genauso wie im Rest der Welt. Es handelt sich um die letzten Zuckungen einer tödlichen und barbarischen Schlange namens IS / Daesh, denn sie verlieren an allen Fronten und ihr Killer-Kalifat schrumpft nicht zuletzt aufgrund der Erfolge der Kurd*innen und ihrer multi-ethnischen Verbündeten weiter täglich in sich zusammen. Genau deshalb schlagen sie immer zielloser um sich: die Schlange ist am Ende, aber leider noch lange nicht tot. Genährt wird sie unter anderem nach wie vor vom 'NATO-Partner' Türkei, der zudem weiterhin jegliche Hilfslieferungen nach Rojava blockiert, obwohl die Grenze nur 2 km entfernt ist. Und die Bundesregierung? Schweigt.

"IS-Terroranschlag in Qamishlo: 56 Tote, 180 Verletzte. Solidarität mit den Kurden?
@AuswaertigesAmt @RegSprecher ERROR"
(@ZagrosIsmail 27 Juli 2016)

Wie es aussieht, bleiben die Menschen in Rojava weiter auf sich selbst gestellt. Trotz Grenz- und Wirtschaftsblockade wurden in Windeseile die Explosionsschäden in der eigentlich sehr schönen Stadt behoben. Die Opfer können sie nicht zurückbringen und die menschlichen und seelischen Wunden werden noch lange nachhallen. Ein weiteres sinnloses Attentat einer internationalen Mörderbande im Zusammenbruch.

  
"#Qamishlo how my city looks like after the two massive explosions on 27.07.2016
We will never forget."
(@AlBjeen 31 Juli 2016)

Mitten auf dem Platz stehen Blumen für das kleine Mädchen Leylan Mohammad (siehe unten).
Flowers for the little girl Leylan Mohammad (see below) in the center of the square.

 
Leylan Mohammad, 5 years old, the only child of her family,
killed in Qamishlo explosion, replaced by some flowers.
(beide Photos / both pics, @NassanIdriss 3 Aug 2016)


Solidarität mit Rojava!


Verwandte Blog-Artikel:

Zum 'Cyber-Krieg' gegen den IS (Daesh):
Pac-Man gegen #daeshbags (November 2015)

Zum 'Schrumpf-Kalifat' in Syrien & den Siegen der YPG / YPJ in Rojava:
Der kürzeste Weg nach Tall Abyad (Juni 2015)
Mit Pferdeschwänzen gegen Terroristen (März 2015)
Befreiung & Wiederaufbau der Stadt Kobanê (Februar 2015).
all in German & English (English titles: "The shortest way to Tell Abyad", "With Ponytails against Terrorists" and "Liberation & Reconstruction of the City of Kobanî")

Über die falschen Konsequenzen aus den dschihadistischen Anschlägen in Paris:
K(l)eine Lehren aus Paris (November 2015)
Leider hat sich die europäische Politik seither genau in die gegenteilige Richtung meiner dort im Kapitel "L'amour plus fort que la haine - Love is stronger than hate - Die Liebe ist stärker als der Tod!" gemachten Vorschläge zum Umgang mit dem IS-Terror entwickelt. Dies schon damals ahnend (siehe Titel!), gibt es dort auch den Abschnitt "Die kleinen Privatkriege gegen Daesh". ;-)

Zum IS-Massaker in Kobanê (25. Juni 2015):
Das Letzte Massaker der Dschihadisten (Juni 2015)
in German & English (English title: "The Last Massacre of the Jihadists")

Zu den 'Charlie Hebdo-Massakern' in Paris (7. - 9. Januar 2015):
Je suis Charlie... je suis Ahmed... je suis juif... (Januar 2015)
in German & English