Monday, January 19, 2015

Ohne Brot, keine Butter - ohne Butter, keine Sahne!

Erklärung von STYLE! IT! TAKES! zur Berlin Fashion Week, Januar 2015

Performerin und Tänzerin Clea Cutthroat beendete STYLE! IT! TAKES! # 4 - Re-Thinking Punk mit einer ekstatischen Performance, bei der mit so ungefähr allen zur Verfügung stehenden Mitteln - von Champagner bis Sahne - hantiert wurde. :-) Urban Spree (Friedrichshain), Berlin Fashion Week Januar 2014
Photo: Benjamin Lippke (House of Rough Arts)


Bread & Butter pleite, Fashion Week regnerisch bis bewölkt

Er gilt als Visionär, aber auch als 'Querkopf', und beides hat ihn mir natürlich sympathisch gemacht: Karl-Heinz Müller von der Bread & Butter. Nicht nur Berlin braucht solche Leute und wir zählen uns selbst ja auch dazu. Nach den Absagen der 'traditionellen' Show von Designerin Leyla Piedayesh (Lala Berlin) und der Michalsky StyleNite (dazu weiter unten mehr) muss die Berlin Fashion Week diesmal auch ohne die Bread & Butter-Messe auskommen, die bisher wie die StyleNite eine feste Größe und eine der tragenden Säulen der Modewoche war. Man ist, flapsig formuliert, pleite. Auch der Vintage-Markt Toast & Jam, bei der letzten Fashion Week im Juli als "Vintage Circus / Vintage Fashion Fair" Teil der Bread & Butter, fällt diesmal flach. Zunächst hatte es geheißen, die B&B-Messe ziehe (wieder) nach Barcelona (wo sie ja schon höchst erfolgreich stattgefunden hat), dann war doch wieder Berlin im Gespräch. Aber beides wurde nichts: das Unternehmen mit 82 Mitarbeiter*innen musste Insolvenz anmelden, unter anderem waren die langfristigen Mietverpflichtungen (bis 2019!) für das ehemalige Flughafengebäude in Tempelhof nicht mehr zu bezahlen, wie zu hören ist. Aber auch die Händler wurden zunehmend zurückhaltender, große Marken hatten sich schon früher abgesetzt. Kurz: zu wenig Anmeldungen, letztlich wohl aber auch zu wenig Unterstützung durch die Stadt Berlin.

Die Showroom Days, die wir als eines der wichtigsten und besten Projekte der Berlin Fashion Week erachten, weil sie ganz in unserem Sinne einen Rahmen dafür bieten, dass auch 'kleinere' Designer*innen, Boutiquen, Models und Veranstalter*innen ins Rampenlicht kommen und auch 'Normalsterbliche' Zugang zu Veranstaltungen bekommen, sahen sich diesmal erstmals dazu gezwungen, eine (für manche Veranstalter*innen nicht unerhebliche) Anmeldegebühr zu erheben, um ihre engagierte Arbeit zu finanzieren. Langfristig könnte dies aber leider zu einem weiteren Rückgang kleinerer Veranstaltungen führen - oder sie zumindest aus dem offiziellen Programm verschwinden lassen. Wäre gerade das nicht ein 'Fall' für Unterstützung von der Stadt Berlin?
Unter anderem aus Sorge vor den Kosten wird es bei dieser Fashion Week nach fünf wunderschönen Veranstaltungen in Folge diesmal auch keine Style! It! Takes! Ausgabe geben. So: Who shot Berlin Fashion Week?

Die Musikerin und Sängerin Nora Below trägt ein Headpiece von Maskenzauber (Berlin)
Show im Garten des Chalet Clubs (Kreuzberg) bei STYLE! IT! TAKES! # 3, Berlin Fashion Week Juli 2013
Photo: Jarka Snajberk (Springbuck Photography)

Der Bassist The Devil in einem Dolce&Gabbana-Anzug und die Sängerin Nora Below in einem Rock und Korsett der Berliner Mode-Designerin Lily Cut bei ihrer Show im Garten des Chalet Clubs (Kreuzberg)
STYLE! IT! TAKES! # 3, Berlin Fashion Week Juli 2013
Photo: Jarka Snajberk (Springbuck Photography)


Stadt Berlin: Augen zu und Geld rauswerfen, bis es quietscht

All dies steht durchaus im Widerspruch zur immer unerträglicher werdenden touristischen Propaganda-Maschine der 'Hauptstadt Berlin', die sich immer geschichtsvergessener und realitätsferner als weltoffene und kulturell lebendige Stadt vermarktet, während auf den Straßen Deutschlands und auch Berlins Bürgerinitiativen gegen Kriegsflüchtlinge hetzen und Übergriffe und Anschläge auf Flüchtlinge und Linke, auf jüdische Bürger*innen und Moscheen verübt werden.

Zu dieser verschobenen Wahrnehmung passt eine 'Kulturhauptstadt', in der Büroräume gebaut statt Atelier- und Proberäume gefördert werden, in der viele Mode-Designer*innen, Künstler*innen, Veranstalter*innen, Kultureinrichtungen und alternative Projekte ums finanzielle Überleben ringen müssen und das Geld stattdessen für unsinnige und fragwürdige Großprojekte wie das Stadtschloss, die x-te Shopping-Mall, die nächste idiotische Olympia-Bewerbung oder politisch höchst zweifelhafte Spektakel á la Feierlichkeiten zum 'Mauerfall' ("Lichtgrenze") investiert wird, ohne die Reichspogromnacht am 9. November 1938 überhaupt noch zu erwähnen. Ohnehin scheinen die politisch Verantwortlichen sich zum Ziel gesetzt zu haben, einfach nur noch von Großevent zu Großevent zu hopsen, ob Fussball-WM, 9. November oder Silvester-Party scheint mittlerweile eigentlich auch egal zu sein, Hauptsache Spektakel, ex und hopp wie die viel kritisierte 'Fast Fashion'.

Gleichzeitig werden schon seit Jahren in einer unglücklichen Allianz von Stadt, Spekulanten und lärmempfindlichen Nachbar*innen gerade die Projekte an den Rand gedrängt oder zum Aufgeben gezwungen, die Millionen vor allem junger Menschen aus der ganzen Welt nach Berlin lock(t)en und von Berlin faszinier(t)en, von besetzten Häusern (2011 Räumung des (angeblich) letzten besetzten Hauses Liebigstraße 14 in Friedrichshain) zu Kunst- und Kulturzentren (Beispiel: geräumtes Tacheles), von tradierten Berliner Kneipen (Beispiel: das von einem so genannten 'Investor' vertriebene, 121jährige Alt-Berlin) und an den Finanzen für Lärmschutzmaßnahmen scheiternden Clubs (Knaack, .HBC, KingKongKlub etc.) bis hin zu den Möglichkeiten nicht-kommerzialisierter und / oder experimenteller Räume.
 
STYLE! IT! TAKES! # 4 - Re-Thinking Punk im Urban Spree (Friedrichshain), Berlin Fashion Week Januar 2014:
Sängerin Näd Mika live in einem Outfit von Wunschgestöber und ihre polnische Tänzerin Anita
Photo: Benjamin Lippke (House of Rough Arts)
Ein Model der Transgender Fashion Show von Baal (Berlin)
Photo: Lux Artifex (Atelier 'et Lux')

Es sind gerade solche Räume, in denen sich unser kleines, aber kosmopolitisch ausgerichtetes STYLE! IT! TAKES! Projekt entfalten konnte und kann, in denen wir unsere Vorstellungen unter großem Engagement der Mitarbeiter*innen verwirklichen konnten und können. Trotz der wichtigen, guten und engagierten Kulturarbeit solcher Clubs, Vereine und Projekte, erhält kaum eine der Locations relevante Unterstützung der Stadt Berlin. Was wiederum bedeutet, dass wir das Geld für unsere recht aufwendigen Veranstaltungen trotz großem Entgegenkommen der Clubs von dem meist nicht sehr finanzkräftigen, meist eher jungen Publikum reinholen müssen. Eingeklemmt zwischen dem Wunsch, bezahlbare Eintrittspreise und gleichzeitig ein anspruchsvolles Programm anzubieten, schränkt dies unsere Möglichkeiten traditionell nicht nur extrem ein, sondern hat auch unser engagiertes Projekt trotz großem Zuspruch in Richtung 'Insolvenz' getrieben, obwohl immer mehr Beteiligte ohnehin schon ehrenamtlich arbeiteten und / oder auf Gagen verzichteten.

Die staatlich und städtisch geförderte Tendenz zur 'Shopping-Mallisierung' und die immernoch ungebremste Entwicklung auf dem Immobilienmarkt treibt zudem die ohnehin schon ums Überleben kämpfenden kleinen Geschäfte, Boutiquen und Jung-Designer*innen in weitere Existenznöte. Wer von denen wird eigentlich mit öffentlichen Geldern der Stadtentwicklung, Struktur-, Wirtschafts- und Kulturförderung unterstützt?


Netzwerke: Die Sängerin Nora Below präsentiert Mode von Gregor Marvel (Friendly Society, Berlin-Mitte) im Grünen Salon der Volksbühne (Mitte) bei STYLE! IT! TAKES! # 2, Berlin Fashion Week Januar 2013
Photo: Lux Artifex (Atelier 'et Lux')
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Model und Schauspielerin Sonja Ruska im Blue Blume Dress und Kuratorin Kersten Haines im Black Blume Dress, beide von Vilorija Fashion Paris, am Nachmittag vor unserem Late Summer Salon in der
Friendly Society, Berlin-Mitte, August 2014
Photo: Benjamin Lippke (House of Rough Arts)
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Model Kelly trägt das Red Blume Dress von Vilorija Fashion Paris im Hof des Panke Clubs (Wedding) bei
STYLE! IT! TAKES! # 5 - Gärten der Lüste, Berlin Fashion Week Juli 2014
Photo: Benjamin Lippke (House of Rough Arts)


Berlin ist nicht Paris oder Mailand

"Die Deutschen haben ein Problem mit Mode. Man möchte selten auffallen. Deswegen gehen alle in die Kaufhäuser und wählen das, was auch der Nachbar trägt."
(Nadine Barth, Model und Autorin)

  
Mode-Designerin Thea Adora Bauer (Degenerotika) und die ausstellende Künstlerin und Photographin Slavica Veselinovic (Shąvi Ląvi) aus Slowenien, beide in bezaubernden Outfits von Degenerotika Fashion, und die Gäste EN Finsternis aus Usbekistan und Boris von der Hot-Wave Band The Wings of Desire (Israel / Berlin) vor unserer Street Glamour Photo Wall im Urban Spree (Friedrichshain) bei
STYLE! IT! TAKES! # 4 - Re-Thinking Punk, Berlin Fashion Week Januar 2014
Photos: Lux Artifex & Eve Lumiere (Atelier 'et Lux')

Wenn wir ehrlich sind, ist Berlin sowieso nicht gerade berühmt für ein ausgeprägtes Modebewusstsein. In meinen Augen war auch ein Großteil der Bemühungen, die Berliner 'Street Fashion' zu einer neuen 'Ikone' zu erheben, eher aussichtslos und hoffnungslos. Mit glänzendem und freudestrahlendem Blick auf unsere (und auch viele andere) stilvollen, kreativen, glamourösen und / oder avantgardistischen Designer*innen, Künstler*innen und Tänzer*innen hat STYLE! IT! TAKES! sich davon immer bewusst abgegrenzt. Wir sehen unsere Mission eher darin, dafür zu werben, dass Mode auch spannend, wunderschön, edel, einzigartig, erotisch, niveauvoll, außergewöhnlich, interessant, politisch und / oder stylish sein kann - als Kontrapunkt zum mehrheitlich auf den Berliner Straßen oder im Nachtleben zu sehenden 'ich bin garnicht da bzw. ich mache mir nicht so viel aus Mode und präferiere das Praktische'-Look.

Seltsamerweise haben die großen Veranstaltungen sich demgegenüber in unseren Augen wenig Mühe gegeben, breitere Bevölkerungskreise für Mode zu interessieren oder zu begeistern, ja mehr noch, sie haben sie oft eher durch gewollte 'Exklusivität' ausgeschlossen, allen voran die zentrale, aber öffentlich ausdrücklich nicht zugängliche Mercedes Benz Fashion Week. Verrückterweise, aber vollkommen ins Bild passend, wird gerade auch diese Veranstaltung des finanzkräftigen Großkonzerns von der Stadt (dem Senat für Wirtschaft, Technologie und Forschung) und aus Fördertöpfen der EU öffentlich gefördert. Als Karl-Heinz Müller letzten Januar die Überlegung äußerte, die Bread & Butter im Juli auch für die so genannten Konsument*innen zu öffnen, wurde sofort von der Presse zurückgeschossen: "Muss das sein?" fragte etwa die Online-Ausgabe der ZEIT und bejammerte schon in der Überschrift "Zum letzten Mal geschlossene Gesellschaft" (18. Jan. 2014). Es ist wirklich manchmal zum Kopf auf den Tisch schlagen.

Gäste und Photograph*innen vor Elke Graalfs' in unserer Galerie ausgestellten Mantel-Bildern während der Transgender Fashion Show von BAAL @ STYLE! IT! TAKES! # 4 - Re-Thinking PUNK,
Urban Spree (Friedrichshain), Berlin Fashion Week Januar 2014
Photo: Jarka Snajberk (Springbuck Photography)

Dabei wäre gerade in einer Nicht-Modestadt wie Berlin das allererste Projekt doch, die Mode-Muffeligkeit vieler Berliner*innen durch Teilnahme, Zugänglichkeit und Neugier zu durchbrechen. Die Showroom Days haben entschieden dazu beigetragen und in einem natürlich begrenzten Maßstab ist dies auch unserem kleinen Projekt gelungen, in dem wir sogar sehr modefremde Kreise für dieses Thema begeistern konnten und können. Aus eigener Erfahrung wissen wir aber auch, wie schwer das manchmal ist und wieviel Überzeugungsarbeit dafür nötig ist. Immer nur auf die anreisenden Tourist*innen zu schielen ist dagegen das Gegenteil von dringlich notwendiger Basis- und Überzeugungsarbeit und korrespondiert nur mit der Zurichtung Berlins auf das schnelle Geld, anstatt die global und multikulturell zusammengesetzte Bevölkerung und ihre Kreativität und Vielfalt als Ausgangspunkt für die (nicht nur kulturelle) Stadtentwicklung zu nehmen. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass allein bei unseren fünf ersten Veranstaltungen Künstler*innen und Designer*innen mit einem Hintergrund aus über zwanzig (!) Ländern beteiligt waren.

Die argentinische Hutmacherin Yan Xcess (YAN HATS) und die aus Usbekistan kommende Performerin EN Finsternis Backstage beim Drapieren eines Fascinators von Yan Hats im Panke Club (Wedding) bei
STYLE! IT! TAKES! # 5 - Gärten der Lüste, Berlin Fashion Week Juli 2014
Photo: Tania Castellvi (Fotania)


Fehlt es an Glamour?

  
Evilyn Frantic aus Finnland präsentiert ihre eigene Mode mit einer Feuershow
im Hof des Panke Clubs (Wedding) bei STYLE! IT! TAKES! # 5, Berlin Fashion Week Juli 2014
Photo: Benjamin Lippke (House of Rough Arts)
Marlene von Steenvag präsentiert Miss Moss Corsets im Grünen Salon der Volksbühne (Mitte) bei
STYLE! IT! TAKES! # 2, Berlin Fashion Week Januar 2013
Photo: Lux Artifex (Atelier 'et Lux')

Dieser Verdacht wurde schön öfters geäußert. Wenn wir an Ereignisse wie das Film-Festival Berlinale denken, wissen wir aber, dass es auch in Berlin durchaus möglich ist, Glamour, öffentliches Interesse und 'Massenbeteiligung' zusammen zu bringen. Und hinsichtlich der Mode gibt es auch noch ein anderes Berlin, und wenn wir an die 'Goldenen Zwanziger'-Jahre zurückdenken, auch andere Berliner Traditionen. Nicht umsonst haben wir bei allen Veranstaltungen gerne mit Akteur*innen aus Berlins umtriebiger und lebendiger Burlesque- und Fetisch-Szene zusammengearbeitet. Auch wenn dies natürlich nur ein kleiner Ausschnitt von dem ist, was Mode ist oder sein könnte, so finden sich hier zumindest mode-affine, kreative, stylische und erotische Akteur*innen, die sich für Mode nicht nur interessieren, sondern sie auch auf oft wunderbare Weise inszenieren. Es gibt sie also, die Berliner Modewelten jenseits von 'grauem' 'Street Look' und 'Prenzlberger-Öko-Filz-Fashion'.


Clea Cutthroat präsentiert Lingerie von Black Blvd (Berlin / New York) im Garten des Chalet Clubs (Kreuzberg) bei STYLE! IT! TAKES! # 3, Berlin Fashion Week Juli 2013
Photo: Jarka Snajberk (Springbuck Photography)

Auch die vielen, meist jungen Mode-Blogger*innen gehören definitiv dazu, jedenfalls wenn mensch einem Großteil von ihnen mal 'abgewöhnen' könnte, hauptsächlich über die jüngsten Einkäufe bei Primark, Urban Outfitters & Co. oder die neuesten Make-up-Werbegeschenke zu berichten. Natürlich ist auch das eine Geldfrage. Allerdings gehört zum Mode-Bewusstsein eben auch, dass wir nicht wöchentlich Billigprodukte kaufen (und kurz danach wieder entsorgen) müssen, und dass wir vielleicht an einem teureren, von einer der vielen jungen Berliner Designer*innen (oft sogar maß-) gefertigten (Einzel-) Stück längere und nachhaltigere Freude haben können. Viel Überzeugungsarbeit wartet da - die meist prekären Berliner Designer*innen werden es sicherlich ebenso danken wie unsere im alltäglichen Leben oft ästhetisch gelangweilten Augen. Die positiven Rückmeldungen und die Dankbarkeit einiger unserer Designer*innen für unser Projekt sprechen diesbezüglich Bände.

 
Kuratorin Kersten Haines in dem Amazone-Kleid von Knoth Kouture (Berlin) (links) bei der Ansage zu
Marlene von Steenvags 'Opium & Bondage' Show (rechts) im Grünen Salon der Volksbühne,
STYLE! IT! TAKES! # 2, Berlin Fashion Week Januar 2013
Photos: Lux Artifex (Atelier 'et Lux') / Jarka Snajberk (Springbuck Photography)

Unsere Models Tingting Wu im Blue Blume Dress und Teresa Peitz im Ballerina-Pink Silk Dress
tragen Designer-Mode von Vilorija Fashion, Paris
Backstage im Panke Club (Wedding) bei STYLE! IT! TAKES! # 5, Berlin Fashion Week Juli 2014
 Photo via Tingting Wu


Aus der Not eine Tugend machen

Themen wie Recycling und Upcycling beschäftigen auch die in Berlin lebende japanische Designerin
Yukiko Yamane vom Label MAGPIE. Ihre Entwürfe zeichnen sich durch eine verspielt-provokative
Politik der Einmischung aus, ob es um Gender-Themen, Atomkraft oder Queerness geht.
Bei STYLE! IT! TAKES! # 3 (Berlin Fashion Week, Juli 2013) wurden Upcycling-Handtaschen von ihr präsentiert.
Photo: Miki Matsuoka

Oft wurde die Tendenz gelobt, einen starken Schwerpunkt der Berlin Fashion Week auf so genannte 'Eco / Green Fashion' und auf Themen wie Nachhaltigkeit zu legen. Daran ist nichts falsch, zumindest solange damit nicht 'esoterische' Tendenzen oder die ohnehin schon ästhetisch schwer auszuhaltene Muffigkeit, Infantiliserung und 'Tantisierung' von Teilen angeblich 'alternativer' Berliner Mode befördert werden (ein Rundgang durch den Prenzlauer Berg mag dabei helfen, zu verstehen, was damit gemeint sein könnte). Wichtiger noch ist es, dringend nötige Diskurse und eine echte Politisierung von Mode im Sinne einer Auseinandersetzung mit den (nicht nur ökologischen) Produktionsbedingungen von Mode anzustoßen, hier in den Metropolen wie auch in der so genannten 'Dritten Welt' (wenn wir zum Beispiel nach Italien schauen, sind die Verhältnisse ohnehin manchmal kaum zu unterscheiden). Denn das alles gehört untrennbar zusammen, obwohl in den Köpfen der Verbraucher*innen meist nur der ökologische oder tierschützerische Aspekt Beachtung findet (ist das tierversuchsfrei?) - wie die 'Bio-Bananen' in den Geschäften zwar vielleicht ungespritzt sind, aber noch lange nicht für faire Arbeitsbedingungen stehen. Hauptsache 'Öko' und 'handgemacht' und das bürgerliche Bewusstsein scheint beruhigt.


Kosmopolitik fängt vor der Haustüre an

Anstatt bürgerliche Wohlfühlattitüden zu fördern, finden wir es interessant, wenn sich Mode tatsächlich mit den Fragen der Zeit auseinandersetzt - von der Unterstützung von Flüchtlingen und dem Engagement gegen den um sich greifenden Rassismus über den 'Arabischen Frühling' (der in unseren Augen nur 'auf Eis gelegt', aber keinesfalls vorbei ist) bis zu den aktuellen Bürgerkriegen im Irak und in Syrien. Wo findet das in der Mode statt? Wo mischt sich Mode ein? Von bekannten Ausnahmen wie Vivienne Westwood abgesehen ist viel zu selten etwas davon zu sehen oder zu hören. Und wie könnte sich die Fashion Week tatsächlich auch für Designer*innen aus jenen Ländern öffnen, die im Mode-Diskurs höchstens blitzlichtartig ins Bewusstsein rücken, wenn mal wieder eine für die westlichen Märkte produzierende Textilfabrik einstürzt? Wo sind die Designer*innen aus Tunesien, Irak, Pakistan, Ägypten usw. (es gibt sie, auch auf der Fashion Week)? Wer lädt sie ein, wer diskutiert mit ihnen, wer verschafft ihnen Zugang zu Shows und Märkten? Wo, wie und von wem wird das diskutiert? Gerade die internationale Magnetwirkung und der multikulturelle Charakter von Berlin sind doch eine gute Ausgangsbasis für solche Kooperationen.

Die argentinische Hutmacherin Yan Xcess (YAN HATS), Tänzerin und Bloggerin EN Finsternis aus Usbekistan in einem Kleid von V i a n Fashion (Berlin), beide mit Faszinatoren von Yan Hats, und der Electro-Musiker Patokai aus Buenos Aires, wie Yan in einem Outfit von Vibradios Fashion (Argentinien).
Im Panke Club (Wedding) bei STYLE! IT! TAKES! # 5, Berlin Fashion Week Juli 2014
Photo: Benjamin Lippke (House of Rough Arts)

Ein entsprechendes Unbehagen muss auch Designer Michael Michalsky beschlichen haben, dessen Michalsky StyleNite bisher ebenso wie die Bread & Butter zu den Säulen der Fashion Week zählte, aber bereits im Oktober 2014 ebenfalls für diese Saison abgesagt wurde. Der Designer will das Geld, das seine Veranstaltung kostet, lieber für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" spenden, einen Schritt, den wir außerordentlich begrüßen, sehr ehrenwert und den 'düsteren Zeiten' angemessen finden. Dennoch bleibt die Frage, ob und wie es möglich wäre, Mode und gesellschaftliches Engagement unter einen Hut zu bekommen, in dem die beiden Welten nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern ineinandergreifen.

Wir haben für all das allerdings auch erst wenige praktische Lösungen gefunden. In den letzten Monaten hat dieser Blog zumindest damit angefangen, am Beispiel der H&M Herbstkollektion Mode zu re-politisieren und mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und Konflikten in Beziehung zu setzen, im konkreten Fall Bezug nehmend auf den Kampf der Kurd*innen gegen den terroristischen 'Islamischen Staat' in Syrien und im Irak (Artikel-Serie "Von H&M nach Kobane"). Auch haben wir uns an der thematisch verwandten Kampagne "Nachtleben für Rojava", der von Berliner Clubs, Bars und Veranstalter*innen erfreulicherweise initiierten Spendenkampagne für die Menschen in der nordsyrischen Bürgerkriegsregion beteiligt. Aber wie bei Michalsky im Großen hat dies auch bei uns mit dazu beigetragen, uns gegen eine STYLE! IT! TAKES! im Januar zu entscheiden, da die Veranstaltungen auch bei uns aufgrund der Vielzahl der Beteiligten bisher eher Kosten verursachen denn etwas einbringen. Optimal ist anders. Ohnehin kann das alles nur ein Anfang sein, bei uns wie bei Michael Michalsky. Ohne Geld aber wird unser Handlungsspielraum diesbezüglich und auch anderweitig weiter eingeschnürt sein. Das muss sich ändern.

Kooperationen: die kroatische Electro-Musikerin Popsimonova in einem Outfit des in Berlin ansässigen, ursprünglich slowenischen Labels Degenerotika, photographiert von der slowenischen Künstlerin Slavica Veselinovic (Shąvi Ląvi). Alle drei Freundinnen sind mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg aufgewachsen.
Outfit für STYLE! IT! TAKES! # 2, Berlin Fashion Week Januar 2013.
Photo: Slavica Veselinovic (Shąvi Ląvi)

Kuratorin Kersten Haines im The Blossom Dress von Degenerotika bei der sehr politischen Eröffnungsansprache, u. a. mit Referenzen auf die Flüchtlingskämpfe in Berlin, bei STYLE! IT! TAKES! # 4 - Re-Thinking Punk im Urban Spree (Friedrichshain), Berlin Fashion Week Januar 2014
Photos: Benjamin Lippke (House of Rough Arts)


STYLE! IT! TAKES! auf der BERLIN FASHION WEEK

Nach fünf wunderschönen Veranstaltungen während der Showroom Days (an dieser Stelle herzlichsten Dank an alle, vor allem an Yana Ratthey & das Café Palermo für ihr wundervolles Engagement!) der Berlin Fashion Week (Juli 2012 - Juli 2014) werden wir diese Berlin Fashion Week nun also auslassen und die Seiten wechseln, indem wir uns die laufenden Veranstaltungen mal selbst anschauen - etwas, was in den vergangenen Mode-Wochen aufgrund der Vorbereitungen für unsere eigenen, üblicherweise am Ende der Woche gelegenen Events immer entschieden zu kurz kam.

Karl-Heinz Müller hat sich übrigens doch noch dazu entschlossen, etwas zu veranstalten. Unter dem vielversprechenden Motto "Back to the Street" ist in einem sehr viel kleineren Rahmen eine "Guerilla Tradeshow" im 'Headquarter' der im Insolvenzverfahren befindlichen Firma in Mitte geplant. Wir sind gespannt! Zurück auf Start ist keine falsche Richtung, wenn es der Orientierung dient, das gilt auch für uns. Wenn der ganze Rummel vorbei ist, werden wir uns daher mit neuer Kraft und neuen, hoffentlich auch finanziell tragfähigen Konzepten an die anstehende STYLE! IT! TAKES! Ausgabe # 6 machen - gegebenenfalls auch ganz ohne Fashion Week. Schließlich sollte Mode nicht nur zweimal im Jahr ein Thema sein. Ihr könnt Eure Flitzebögen also schon mal spannen - bloß nicht schießen! (^.^)

  
Asia Fusion / Tribal Fusion / Bellydance Tänzerin Namjira präsentiert bei ihrer 'Geisha Performance' ein Headpiece von Sweet Hattrice (Berlin)
Die Rhythmische Sportgymnastin Maria Kaledenkova bei einer ihrer Shows
im Garten des Chalet Club (Kreuzberg) bei STYLE! IT! TAKES! # 3, Berlin Fashion Week Juli 2013
Photos: Jarka Snajberk (Springbuck Photography)


STYLE! IT! TAKES!
wünscht allen Beteiligten und Besucher*innen eine wundervolle
Berlin Fashion Week Januar 2015
Wir freuen uns - trotz alledem!

xxx
Kersten Haines
Kuratorin
STYLE! IT! TAKES!
http://style-berlin.blogspot.de
magenta.netzwerk[at]gmx.de

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