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Friday, November 25, 2016

#Freedom4HDP ★2★ Nicht genug besorgt: EU & Türkei

Demonstrationsfreiheit ist in der türkischen 'Demokratie' und Verfassung gewährt:
Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstrant*innen, die in Istanbul gegen die illegale Verhaftung von Abgeordneten der Oppositionspartei HDP, gewählten kurdischen Bürgermeister*innen und Journalist*innen demonstrieren.
Freedom of assembly is guaranteed in the Turkish 'democracy' and constitution:
"#Istanbul- Police used tear gas and water cannons against people protesting illegally arrest of #HDP MP's, #Amed co-mayors & journalists"
(Photo & English quote via Cahida Dêrsim @cdersim3 5 Nov 2016)

[Im ersten Teil dieses Artikels habe ich unter der Überschrift "Weder Anfang noch Ende" die aktuelle Verhaftungswelle von prominenten Politiker*innen der Oppositionspartei HDP in eine längere Abwärtsspirale der türkischen Politik unter Herrschaft von Erdoğans AKP eingeordnet und meinen Unmut über die "Schreiende Stille" der Öffentlichkeit, darunter auch der bundesdeutschen und EU-Politik geäußert. Hier ein Kommentar dazu und ein paar konstruktive Vorschläge.
Wer den ersten Teil noch nicht gelesen hat: es sei zum besseren Verständnis empfohlen.]


Die EU und die Türkei
Nicht genug besorgt

Seit einiger Zeit gibt es eine neue Variante des beredten Schweigens der (vor allem bundesdeutschen) EU-Politik: der 'Kontakt' zur Türkei dürfe nicht abreißen, mensch müsse im Dialog bleiben, um noch irgendeinen Einfluss ausüben zu können. Dies verkennt, dass Präsident Erdoğan oft genug und mehr als deutlich erklärt hat, dass er schon lange nicht mehr auf andere hört, schon gar nicht auf die EU. Schon länger schickt er gerne seine AKP-Untertanen wie Ministerpräsident Binali Yildirim vor (merkt Euch den Namen, er wird bald entweder als verdienter Großwesir in eine vergoldete Staatsrente geschickt und / oder abserviert wie sein Vorgänger Davutoglu), wenn es um Treffen oder Diskussionen mit EU-Vertreter*innen geht – macht dann aber ohnehin, was er will. Lieber und gefühlt 48 Stunden am Tag kommentiert er das Geschehen anschließend über seine Staatsmedien – auf die ganze nichttürkische Welt schimpfend und mit Drohungen um sich werfend, die er sich selbst mit aller Härte verbitten würde – von seinem 'Thron' aus, denn er hat bekanntlich 'höhere Ziele' und ein mehr als ehrgeiziges Projekt. Und dieses Projekt verfolgt er nun seit Jahren, kontinuierlich und beharrlich: die Errichtung eines neuen Osmanischen Reiches – seit Jahren in den Staatsmedien auch kulturell propagandistisch vorbereitet und bereits jetzt imperialistisch ausgedehnt in Teile Syriens und des Iraks hinein (weitere Staaten werden vermutlich folgen: Iran?, Armenien? Zypern? Balkan? etc. pp.) – in Form einer islamo-faschistischen Präsidialdiktatur mit ihm selbst als eine Art 'Sultan' an der Spitze. Dem gegenüber ist alles tagespolitische 'Geschäft' nur untergeordnet und Mittel zum Zweck.

Die EU & die Türkei:
Als Freundin der Völker der Türkei hatte ich immer auf einen Weg zu einem EU-Beitritt der Türkei gehofft.
Diktator Erdoğan und europäische Rassist*innen haben es gleichermaßen verpatzt.

Spätestens mit der Zerschlagung der HDP – der größten Hoffnung für eine demokratische Zukunft der Türkei und auch Europas – ist es leider höchste Zeit, die Fahne einzupacken...

[Text von mir; Bild & folgende Original-Überschrift via ZEIT @zeitonline_pol 8 Nov 2016:
"Die #EU will an den Beitrittsverhandlungen mit der #Türkei festhalten – trotz besorgniserregender Zustände."]


Natürlich kamen auch auf die jüngsten Verhaftungen wieder Reaktionen aus der Politik der EU, die sich seit ca. zwei Jahren kontinuierlich schwer "besorgt" zeigt über die Entwicklungen in der Türkei. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die EU, nun ja, sehr "besorgt" ist. Und so fehlt es auch jetzt nicht an 'besorgten' Stellungnahmen und Verurteilungen, vom Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, bis zu vielen Regierungschefs und Abgeordneten von Parteien in ganz Europa. Zugegeben wurden diesmal auch einige ungewöhnliche Schritte gegangen, die allerdings gänzlich untauglich sind und nur die Hilflosigkeit untermauern.
Dazu gehören:

  • die Bundesregierung hat den Betroffenen Asyl in Deutschland angeboten
    [Hinweis: das Asylrecht ist ein Recht, welches nicht angeboten, sondern in Anspruch genommen wird, da es eben ein Recht ist, daher ist dieses 'Angebot' wahlweise eine Selbstverständlichkeit oder eine Unverschämtheit. Im schlimmsten Fall NPD-Rhetorik.]
    Quelle: Bundesregierung bietet verfolgten Türken Asyl an (WELT, 08.11.2016)
  • im Ausschuss für Menschenrechte des Deutschen Bundestages haben rund 60 Abgeordnete aller Fraktionen "Patenschaften" für die bedrohten HDP-Abgeordneten übernommen. Für den Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş haben gleich drei Politiker*innen die Patenschaft übernommen (Thomas Oppermann (SPD), Anton Hofreiter (Grüne), Sahra Wagenknecht (Linke)), für seine in der türkisch-kurdischen Partei gleichgestellte Co-Vorsitzende Figen Yüksekdağ nur eine (Michelle Müntefering (SPD) – soviel zur Gleichstellung in der bundesdeutschen Politik, aber das hier nur am Rande. Weitere Patenschaften: Martin Patzelt (CDU) für Mithat Sancar (HDP), Michael Brand (CDU) für den ersten aramäischen Christen im türkischen Parlament Erol Dora (HDP), Bärbel Kofler (Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, SPD) für den armenisch-stämmigen HDP-Abgeordneten Garo Paylan.
    Quelle: Severin Weiland: Bedrohte Oppositionspolitiker: Deutsche Parlamentarier helfen türkischen Kollegen (SPIEGEL ONLINE, 11.11.2016)

Dazu wird bis zur Ermüdung wiederkehrend die sehr ausgeleierte Forderung nach einem "Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen" erhoben (so auch wieder in einem, wie so viele andere vermutlich 'gut gemeinten' SPIEGEL-Kommentar von Maximilian Popp*), um im nächsten Augenblick mit den zu Anfang erwähnten Argumenten des notwendigen 'Dialogs' wieder von Politiker*innen bei Seite geschoben zu werden.
* Maximilian Popp: Verhaftungswelle in der Türkei: Europas Mitschuld (SPIEGEL Online, 04.11.2016)


Symbolpolitik

Es fehlt nicht an klaren Worten und Kritik, wie auch die Stellungnahme von EP-Präsident Martin Schulz
zu den Verhaftungen zeigt. Es fehlt an Konsequenzen.
(Press release via @EP_President 4 Nov 2016)

Das Problem an solchen Forderungen wie auch an den Reaktionen der EU ist, dass sie allesamt untaugliche, rein symbolische Mittel sind.

Die EU-Beitrittsverhandlungen – wie übrigens auch den im Jahre 2012 auf Initiative des inhaftierten PKK-Mitbegründers Abdullah Öcalan begonnenen, einst vielversprechenden Friedensprozess mit der kurdischen Bewegung – haben Erdoğan und dessen AKP-Regierung mit ihrer totalitären Entwicklung (mit der sie sich jeden Tag weiter von den auch nur allerfundamentalsten Grundlagen eines demokratischen Dialogs über diese Fragen entfernen) de facto selbst abgebrochen. Warum sagt das eigentlich niemand klar und deutlich? Auch nach Einschätzung von EU und EU-Expert*innen liegen die Verhandlungen längst brach und alle Beteiligten wissen das. Die Forderung, sie (auch offiziell) abzubrechen, ist also müßig und sinnlos. Der wahre Grund, dies nicht zu tun, liegt meines Erachtens wo anders begründet: beide Seiten profitieren davon. Erdoğan kann seinen 'guten Willen' demonstrieren und gleichzeitig mit dem Zeigefinger auf die (in seinem Land leider ohnehin mit vielen Enttäuschungen verbundene) 'böse böse EU' zeigen, die 'die Türkei' nicht aufnehmen wolle. Und die EU kann den Bürger*innen der Türkei signalisieren, dass sie gerne würden, wenn die AKP nur mitspielen würde. Und deshalb wird das von den eigentlichen Fragen ablenkende öffentliche 'Spielchen' wohl auch noch eine Weile weitergehen...

Erdoğan Nazi-Methoden zu bescheinigen wird einen Diktator, der vor gar nicht so langer Zeit Nazi-Deutschland als Beispiel für ein funktionierendes Präsidialsystem nannte (!), kaum tangieren. Das sagt er ja auch recht offen selbst. Ich halte es für ratsam, nicht nur den 'Dialog' mit ihm abzubrechen, sondern auch, Erdoğan aufmerksam zuzuhören. Denn was er sagt, ist erschreckend, und er kündigt seine fürchterlichen Schritte meistens frühzeitig an.

Ob in der Türkei verfolgte Menschen in der EU Asyl beantragen wollen, ist gänzlich ihre persönliche Entscheidung (sofern überhaupt die Möglichkeit einer Ausreise aus der Türkei und Einreise in die EU besteht). Wie in Teil 1 dieses Artikels erwähnt, hätte die HDP-Spitze diese Möglichkeit gehabt, aber sich dafür entschieden, weiter zu kämpfen. Ähnlich hatte sich zum Beispiel auch der ebenfalls wegen 'Terrorunterstützung' angeklagte Fußballspieler Deniz Naki (früher beim Hamburger 1. FC St. Pauli, der sich mal wieder einfach wundervoll zu diesem Thema verhalten hat, siehe Bilder unten) entschieden: er hatte Glück und wurde freigesprochen. Wahrscheinlich hat auch die breite Berichterstattung über den Fall und die Solidarität in Deutschland dazu beigetragen. Vielleicht hatte die mittlerweile gleichgeschaltete türkische Justiz auch Angst, die politischen Konflikte im Falle einer Verurteilung des mittlerweile für den kurdischen 'Kultclub' Amed SK (oft nicht ganz korrekt auch Amedspor genannt) auch noch in die ohnehin hitzigen Fußballstadien zu tragen... Effekt solcher Anklagen ist aber immer, dass sich die Betroffenen wie auch alle anderen Menschen in der Türkei sehr genau überlegen werden, was sie noch sagen oder kritisieren.

Solidarität ist eine Waffe:
"St Pauli was all Naki today in support of Kurdish former footballer Deniz Naki,
targeted in a witch hunt in Turkey"
via Memed Aksoy @memedaksoy 6 Oct 2016

Betroffen von Verfolgung sind in der 'formierten Türkei' aber prinzipiell Millionen von Bürger*innen, ob kurdischer, armenischer, assyrischer oder aramäischer Ethnie, alevitischer oder jesidischer Religion, Christ*innen, Säkulare, Frauen und LGBTIQ sowie die gesamte demokratische, liberale, gewerkschaftliche und linke Opposition. Und ja, auch (angebliche oder tatsächliche) Anhänger der 'Gülen-Bewegung'. Mittlerweile wird sogar die staatstragende 'sozialdemokratisch'-kemalistische CHP angegriffen. Die HDP steht nicht zuletzt deshalb im Zentrum der Attacken, weil sie es wie keine andere Partei verstanden hat, den zahlreichen Minderheiten in der Türkei und einer bunten Palette der vielfältigen Opposition im Land eine gemeinsame Stimme zu geben und damit in kurzer Zeit zur zweitstärksten Oppositionspartei aufzusteigen. Asyl für ein paar wenige Prominente (wie den 'Liebling' des Westens, den absolut ehrenwerten, nach Anklage und einem nur mit viel Glück fehlgeschlagenen Ermordungsversuch nach Deutschland geflohenen Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar oder die/den ein/e oder andere/n Wissenschaftler*in oder HDP-Politiker*in) würde den vom faschistischen Staatsterror betroffenen Massen in der Türkei also leider nicht helfen. Alle Anklagen müssen fallen, weil sie alle politischen und nicht rechtsstaatlichen Kriterien folgen.


#TerroristErdogan

Eine Überraschung sind sie nicht: die Entwicklung hatte sich wie in Teil 1 geschildert seit Sommer 2015 deutlich abgezeichnet. Zwei Collagen und ein Photo fassen zusammen, über was die EU seither wider besseren Wissens hinweggesehen hat:

Wie man in der Türkei verhaftet wird, als...
Obere Reihe: IS-Rekrutierer, Serienkiller, faschistischer Mörder
Untere Reihe: Student, Arbeiter, Menschenrechtsanwalt
"How you're arrested in Turkey:
ISIS recruiter, serial killer, fascist murderer vs. student, labourer, HR lawyer"
(Collage & English text via @corduene_ 15 Jun 2016)

Bilder vom Krieg der türkischen Armee gegen den kurdischen Südosten der Türkei.
Die Photos sind leider alle authentisch und liegen mir auch einzeln vor.
Es waren solche Geschehnisse, zu denen Fußballer Deniz Naki nicht schweigen wollte.
(Collage by or via @FeyeNody 31 Juli 2016)

Es ist keinesfall so, dass es gegen all das keine Proteste in der Türkei gäbe, aber...
"So geht #Erdogan in der #Türkei mit Demonstranten um"
(via @cdersim3 - 31 Juli 2016)


Erdoğan stürzen

Es führt kein Weg daran vorbei: Erdoğan muss weg, und zwar so schnell wie möglich!
Dazu muss das AKP-Regime von innen wie von außen fundamental geschwächt – und zumindest Erdoğan selbst (und sei es in einem innerparteilichen Machtkampf und krisenbedingten Zerwürfnis) gestürzt werden.

Die wichtigsten Aspekte und Hebel dafür sind:

  • Zusammenbruch der Wirtschaft: der anhaltende Tourismusboykott, die Krise von Turkish Airlines, der Rückgang von Import wie Export, das sinkende Wachstum und nachlassende Interesse ausländischer Investoren aufgrund der politischen und juristischen Unberechenbarkeit, die immer wackliger werdenden Banken, Börsen und Aktienmärkte der Türkei, die Herabstufung durch Rating-Agenturen auf 'Ramschniveau' als "Hochrisiko-Land" und der freie Fall der türkischen Lira sind gute Nachrichten; aktuell werden die schlechtesten Wirtschaftsdaten seit 2009 vermeldet...* Da die Popularität der AKP stark mit der Erfahrung von langjährigem wirtschaftlichen Aufschwung zusammenhängt, steht zu hoffen, dass die nächste mit viel Einheitsmedien-Tamtam zelebrierte Einweihung (Erdoğans Lieblingsbeschäftigung) einer Brücke, Straße oder eines sonstigen Infrastrukturprojektes aufgrund von Geldmangel ausfallen muss. 😸

    * Siehe zum Beispiel zwei in der Online-Zeitung
    Al-Monitor veröffentlichte Artikel von Mustafa Sonmez:
    Will Turkey's negative growth rates lead to political crisis?
    (in: Al-Monitor, 17 Nov 2016)
    Turkey’s 'big bosses' gather courage to speak out on economy
    (in: Al-Monitor, 24 Nov 2016)

    Es ist bezeichnend, dass die nicht enden wollende Scheindebatte um ein Ende der de facto ohnehin brachliegenden EU-Beitrittsverhandlungen eine wesentlich effektivere und sinnvollere Maßnahme übertüncht: Wirtschaftssanktionen. Wie bereits die zwischenzeitlichen Sanktionen Russlands vor Augen geführt haben, würden diese die Türkei äußerst hart treffen (selten war Erdoğan so kleinlaut und fühlte sich sogar zu einer Entschuldigung und Versöhnung mit Putin genötigt).
    Und hier habe ich sogar einen EU-Außenminister auf meiner Seite:

EU-Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei der AKP

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der sich bei mir schon mit seiner Forderung nach einem Ausschluss Ungarns aus der EU aufgrund ihrer rassistischen Flüchtlingspolitik beliebt gemacht hat, hat als einer der wenigen die Zeichen der Zeit erkannt: Wirtschaftssanktionen!

„Und wir jetzt als Europäische Union: Ich glaube, das allererste, was ich Ihnen antworte, ist, 50 Prozent der Exporte der Türkei gehen in die Europäische Union. Im Vergleich zu Russland, wo es nur zwei Prozent sind. 60 Prozent der Investitionen in die Türkei kommen aus der Europäischen Union. Das ist ein absolutes Druckmittel. Und in einem gewissen Moment kommen wir nicht daran vorbei, dieses Druckmittel einzusetzen, um die unsägliche Lage der Menschenrechte zu konterkarieren.“
zitiert nach:

"Methoden, die während der Naziherrschaft benutzt wurden". Jean Asselborn im Gespräch mit Christiane Kaess (Deutschlandfunk, 07. 11. 2016)


  • Nachhaltige Schwächung des türkischen Polizei- und Militärapparates:
    • zu erreichen durch einen totalen Stopp von Rüstungsexporten in die Türkei
      (statt dessen hat sich laut aktuellem Rüstungsexportbericht z. B. ausgerechnet der von der CDU/CSU/SPD-Bundesregierung genehmigte Kleinwaffenmunitionsexport (Stichwort: Polizeigewalt, Krieg gegen die Kurd*innen) in die Türkei vervielfacht, dazu kommen Panzer und anderes Kriegsgerät deutscher Firmen),
    • einen Rückzug aller NATO-Soldaten & -Einheiten (es sei denn, sie wollen sich auch einmal an einem kleinen 'Putsch' versuchen),

  • Weltpolitische Isolation und Anklage des AKP-Regimes als 'Schurkenstaat':
    Schon jetzt liegen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über 3.000 Klagen gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Die Ergebnisse könnten Grundlage für ein 'Dossier' geben, in dem die Türkei auch vor der UNO zur Sprache gebracht wird. Wenn es um Israel, den Iran, China oder Nordkorea geht, sind die UN doch auch immer 'zur Stelle'. Und was bei ex-jugoslawischen oder afrikanischen Staatsmännern geht, muss auch bei der Türkei gehen: Erdoğan muss vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gebracht werden.

  • 'Flüchtlingsdeal' & PKK-Verbot:
    Beide müssen fallen. Sie verstoßen gegen grundlegende Menschenrechte (Asylrecht, Meinungsfreiheit, Widerstandsrecht etc.) und machen die EU – wie wir laufend erleben – erpressbar. Außerdem entzieht sich die EU mit beiden ihrer Mitverantwortung für die Fluchtursachen (siehe Photo unten) und überlässt das dreckige Kriegsgeschäft inklusive dem Bau einer tödlichen Mauer an der syrischen Grenze der Türkei. So kann dann wirklich nicht glaubwürdig gegen die Menschenrechtsverletzungen argumentiert werden.
    Außerdem
    : wie schön wäre es, wenn Erdoğan der EU mal wieder wutschnaubend und entgegen aller Tatsachen vorwerfen würde, die 'PKK zu unterstützen' und die EU achselzuckend und mit einem Europa würdigen, charmanten Lächeln entgegnen könnte: "Bei uns ist die PKK keine terroristische Vereinigung!".

Die materiellen Grundlagen des Schweigens der Bundesregierung:
"Germany's reason not to oppose Turkish aggression:
More German Leopard-2 tanks deployed to Syria by Turkey. 75 total."
(via Gilgo @agirecudi 4 Sept 2016)

Das alles freilich würde weh tun:
  • Teilen der europäischen Wirtschaft, die immernoch gute Geschäfte in und mit der Türkei macht und insbesondere der deutschen Rüstungsindustrie (wie zu hören ist, will etwa der Rheinmetall-Konzern sein Engagement sogar noch ausdehnen, im Klartext: Profite machen mit deutschen Waffen gegen Oppositionelle und Kurd*innen in der Türkei und damit auch in Syrien!),
    • Siehe zum Beispiel:
      Bau von Panzerfahrzeugen: Rheinmetall will in der Türkei aktiver werden

      (ARD, 05.08.2016)

      Solche himmelschreienden Skandale laufen bei den öffentlich-rechtlichen Medien unter Börsennachrichten (!): "In den vergangenen Jahren" ist dort auch zu lesen, "seien bereits fast 700 Panzer aus deutschen Beständen in die Türkei geliefert worden". Die staatliche "militärische Hilfe für den Nato-Partner" wird von der Industrie kreativ flankiert: "Mehrere deutsche Rüstungsunternehmen unterhalten, zum Teil schon seit Jahren, Tochterfirmen in der Türkei". Praktisch, denn dann brauchen die deutschen Todeskonzerne auch keine Exportgenehmigung mehr.
  • europäischen Rassist*innen, die bei allem Geschimpfe auf Merkel Angst vor einem Ende des 'Flüchtlingsdeals' zwischen EU und Türkei haben,
  • der NATO, die die Türkei gerne als südöstliches 'Bollwerk' zum Nahen Osten und das mit Russland verbündete Syrien behalten würde.

Sprich: von Seiten der Herrschenden wird nichts davon kommen.

Nur wenige Tage nach der Empörung über die Verhaftungen der HDP-Abgeordneten beschloss der Bundestag eine Verlängerung (bis Ende 2017) und sogar Ausweitung des deutschen Anti-IS-Einsatzes, das heißt, trotz von Erdoğan nach Tageslaune ausgesprochenen (oder aufgehobenen) Besuchsverboten für deutsche Politiker*innen bleibt die Bundeswehr auf dem türkischen Nato-Stützpunkt Incirlik stationiert. Um es sinnlich zu machen: eine Mehrheit der Abgeordneten aus dem HDP-'Patenschaftsprogramm' (siehe oben) hat dafür gestimmt, dass die Bundeswehr ihre Aufklärungsflüge gegen den IS in einem 'Gastland' startet, dessen Armee in drei Staaten (der Türkei selbst, in Syrien und dem Irak) auf kurdische Zivilist*innen und die gemeinsam mit den USA gegen die IS-Terroristen kämpfenden Kurd*innen schießt und diese beinahe täglich bombardiert!
Es sind exakt solche Entscheidungen, die eine eigentlich so schöne menschenrechtliche Idee wie das Patenschaftsprogramm zu reinen Feigenblättern zur Imagepflege degradieren, die nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie festgehalten wurden.
Info: 445 Abgeordnete votierten für das Mandat, nur 139 dagegen.

Wenn der Druck nicht entschieden 'von unten' erhöht wird, wird sich also rein gar nichts ändern und Erdoğan wird die Türkei in den Abgrund reißen. Womit wir abschließend bei der Frage wären:


Revolution oder Konterrevolution?

"The tensions on Turkey’s political scene are mirrored by anxiety and distress in society. Global liberal winds had once fueled democratization and class transformation in Turkey. Today, an anti-liberal political and social wave is on the rise, marked most notably by the trends in Poland and Hungary, the British vote to leave the European Union and Donald Trump’s victory in the US presidential polls. Turkey is both influenced by and contributing to this wave. The politician’s desire for hegemony and the society’s demand for stability are moving fast toward a paternalistic order. And this is what makes Erdogan’s rise unstoppable."
(Ali Bayramoglu: Is Erdogan’s rise unstoppable?, in: Al-Monitor, 23 Nov 2016)

"It is so sad that history has to repeat itself.
I am sure the Turkish people can see the train coming but they are paralyzed!
They cant move!"
(comment from Thomas to the same article, 24 Nov 2016)

Im Unterschied zum Rest der Welt sind die Zustimmungswerte für Erdoğans Politik im eigenen Land nach wie vor erschreckend hoch. Er wurde immer wieder gewählt und vielleicht werden die Bürger*innen bald befragt, ob sie einer Wiedereinführung der Todesstrafe oder dem 'Präsidialsystem' zustimmen. Es ist zu hoffen, dass die von Erdoğan insbesondere seit dem Putschversuch entfachte, fatale nationalistische Welle bald abebbt und die Menschen aufwachen. Aber es ist verdammt spät. Von 'freien Wahlen' ist seit dem Umgang der Erdoğan-AKP mit den Ergebnissen der Wahl im Juni 2015 und mit der inzwischen erfolgten Gleichschaltung der türkischen Medien und Gerichte ohnehin nicht mehr auszugehen. Es sieht verdammt düster aus. Ob die Mehrheit des türkischen Volkes wohl noch aufwacht?

Gleichzeitig ist eine beinahe revolutionäre Option durchaus virulent: in einer hoffentlich bald ökonomisch kollabierenden Türkei selbst (Aufstand der Arbeiter*innenklasse, des europäisch-orientierten 'säkularen' Mittelstands, der Arbeitslosen und Unzufriedenen, der Frauen & LGBTIQ, der Jugend, der kurdischen, linken und demokratischen Opposition; siehe dazu auch den folgenden Kasten) wie auch im globalen Ausland, indem die rassistisch-kapitalistische Logik, die hinter dem ganzen Appeasement gegenüber dem islamo-faschistischen Terrorregime der AKP steht, in Frage gestellt wird. In der benachbarten Nordsyrischen Föderation Rojava findet seit Jahren eine soziale Revolution statt, die ebenfalls von der Türkei bedroht ist. Der Irak und die Autonome Region Kurdistan stehen nach dem in immer nähere Sichtweite kommenden Sieg gegen die IS-Terroristen vor wichtigen Entscheidungen über ihren weiteren Weg. Zehntausende stehen unter Waffen. Ob sich die kurdischen, jesidischen, syrischen und irakischen Völker nach all dem Leid und Kampf unter die 'Knute' der Türkei begeben wollen? Eine wahrlich dramatische Perspektive.


Zwischen Perspektivlosigkeit, Kriminalität, Klassenkampf, Flucht und Revolution:
Wohin steuert die Jugend der Türkei?

Diesbezüglich sollten Nachrichten zu der sich ebenfalls immer weiter verschärfenden sozialen Situation in der Türkei aufmerksam gelesen werden. Etwa in Bezug auf die steigende Jugendarbeitslosigkeit, besonders in den vom türkischen Krieg zerstörten Städten des kurdischen Südostens, die bereits jetzt weitere Unzufriedenheit schürt. Nachdem die Jugendarbeitslosigkeit der Türkei jahrelang unter dem EU-Durchschnitt von 18.5% lag, überstieg sie diesen laut Turkish Statistical Institute (TUIK) im Juni 2016 erstmals deutlich mit 19.9%. Die Zahl der Erwerbslosen in der Türkei insgesamt erreichte im August 2016 11.3% und ist seit August 2015 um 435.000 (1.2%) gestiegen. Zahlen der Organization for Economic Cooperation and Development ergeben ein noch trostloseres Bild mit ca. 28% der 15-29jährigen, die als 'NEET' ("not in employment, education or training.") klassifiziert werden. Diese NEET-Gruppe, die weder in Arbeit noch Ausbildung ist, kostet die Türkei 3.4% ihres Bruttosozialprodukts, etwa $25 Milliarden. Laut dem zu Grunde liegenden Artikel führt diese Situation sowohl zu höchst unerfreulichen Begleiterscheinungen wie steigender Kriminalität, Drogenproblemen und häuslicher Gewalt (übrigens alles Dinge, die die politische kurdische Bewegung immer recht erfolgreich zurückgedrängt hat, in dem sie den Menschen eine Perspektive und politische und soziale Beteiligung gegeben hat), jedoch auch zu Protesten und: Zulauf bei der PKK!

Interessant auch, dass die Jugendarbeitslosigkeit umso höher ist, desto höher der Bildungsstand. Zu den massenhaft von der AKP entlassenen Lehrer*innen und Wissenschaftler*innen kommen nun also auch noch Millionen unzufriedene, perspektivlose Jugendliche. Nach Zahlen der TUIK war im Dezember 2014 fast ein Drittel (29.4%) der 78 Millionen in der Türkei lebenden Menschen 17 Jahre oder jünger. In der mehrheitlich kurdischen, südöstlichen Region Anatolien machen Minderjährige die Hälfte der Bevölkerung aus. In Cizre, der Stadt, die am stärksten von dem brutalen Anti-Kurden-Krieg der türkischen Armee betroffen war/ist, waren bei einer Gesamtbevölkerung von 120.000 (2014) sogar 70% unter 30 Jahre alt und 40% jünger als 20. Das Durchschnittsalter von Cizre liegt laut TUIK bei 19 Jahren.

Insgesamt ein weiterer 'Risikofaktor' für die AKP und eine wahrhaft explosive Situation...

Meine Zusammenfassung und die Zahlen basieren auf dem Artikel:
Metin Gurcan: Youth unemployment poses latest danger to Turkey
(in: Al-Monitor, 24 Nov 2016)


Die Türkei ist eine tickende Bombe: Istanbul bei Nacht.
Nightly protests in #Istanbul - Police used tear gas & water cannons at daily protests against arrests of #HDP MP's, co-mayors & journalists, later youth put up barricades and clashes with police
5 Nov 2016
Collage by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
Die von mir zusammengefügten Originalbilder stammen aus verschiedenen Quellen.
The original pics put together by me are from various sources.

Tick Tock... Tick Tock...

Geht es auch eine Nummer darunter? Vielleicht. Etwa dann, wenn der vielzitierte 'Westen' genau die Gefahr dieser Situation begreift, und auch, dass die sich täglich verschärfende Barbarei in der Türkei nicht nur die Menschen dort bedroht, sondern letztlich auch die eigene, ja die ganze globale Herrschaftsarchitektur (allein der Schaden, den Erdoğan in Syrien und im Irak anrichtet, ist bereits jetzt unermesslich). Schon jetzt leidet nicht nur das Ansehen des EU-Projektes (von der UNO ganz zu schweigen) unter der AKP-Politik, sondern auch die globale 'Koalition gegen den IS-Terror' (OIR) und selbst das Militärbündnis der NATO, auch wenn uns Letzteres nicht traurig machen muss. In Syrien stürzt die fatale Außenpolitik Erdoğans den Kampf gegen den islamistischen Terror ins Verderben und die Zukunft des Irak gleich mit. Ein einziges Mal muss sich der 'Westen' für die richtige Seite entscheiden: gegen Erdoğan und für die säkulare, demokratische kurdische Bewegung, nicht nur in der Türkei, sondern auch in Syrien.
Obama, der Erdoğan nie 'leiden' konnte und nicht nur (wie die AKP-hörige deutsche Regierung) auf die teilweise mit der Türkei verbandelten irakischen, sondern auch auf die syrischen Kurd*innen setzte (und diese seit der Schlacht um Kobanê im Winter 2014/15 vor allem militärisch im gemeinsamen Kampf gegen den IS unterstützte) war diesbezüglich bisher am nächsten dran, aber leider, insbesondere auf politischer Ebene, nicht konsequent genug.

Wir, europäische & türkische Demokrat*innen und Linke, die kurdische Bewegung und alle, die mit ihr solidarisch sind, müssen keinesfalls das Geschäft der Herrschenden betreiben, um Politik und Wirtschaft bei diesen 'Erkenntnissen' kräftig auf die Sprünge zu helfen. Es müssen, wie das Lower Class Magazine so schön schreibt, "die Löcher aus dem Käse fliegen" (das Zitat in voller Länge gibt's beim nächsten Mal in Teil 3). Dabei wird auch 'helfen', dass die Zahl der Asylanträge aus der Türkei selbst rasant steigen wird (sie wächst schon jetzt) und auch die Herrschenden begreifen werden, dass sie sich mit dem das AKP-Regime stabilisierenden Erdoğan-Pakt ein klassisches 'Eigentor' geschossen haben. Die wirtschaftliche und militärische Kooperation des Westens mit der AKP-Regierung muss beendet werden und der 'Flüchtlingsdeal' muss genauso fallen wie das PKK-Verbot. Schon jetzt, in den laufenden Demonstrationen, kehrt die Fahne der auch in der EU verbotenen Organisation auf die Straßen Europas zurück und das ist auch gut so. Das Verbot ist ein antiquiertes Relikt einer schon in den 1990er Jahren verfehlten deutschen Türkei-Politik, die schon damals zu Krieg und brutalsten Menschenrechtsverletzungen schwieg, stattdessen Panzer lieferte und schließlich auf türkischen Wunsch die PKK verbot.

Die revolutionäre Option klingt vielleicht gut, aber damit sie nicht in ähnlichem Leid und Horror endet wie etwa die Ägyptische Revolution (auch wenn ich nicht glaube, dass diese dauerhaft 'vorbei' ist, da all ihre Gründe fortbestehen) braucht sie aufgrund der Bedingungen in der Türkei vor allem Unterstützung 'von außen'. Im Grunde sind die brutalen Niederschlagungen in der Türkei bereits eine 'Reaktion' auf die 'liberale', demokratische und kurdische Revolution, die sich über Jahre in vielen Gesellschaftsbereichen der Türkei entwickelt und entfaltet hat und deren Ausdruck nicht zuletzt auch der große Erfolg der jetzt von Erdoğan angegriffenen HDP war.
Es geht also – schon wieder! – eher darum, die blutige Konterrevolution zu stoppen.

Dazu gehört – ich habe es schon oft geschrieben und werde nicht aufhören, das zu betonen – die entschiedene Zurückweisung aller Formen von 'Rechtspopulismus' und Rassismus. In der EU, in der Türkei, in den USA und überall sonst. Ein türkischer Aktivist brachte es auf den Punkt:

A Turkish friend who is committed to helping Syrian refugees in Turkey
and is interested in politics in general posted the following on FB:

(via Gilgo @agirecudi 13 Nov 2016)

Von der 'Sozialdemokratie' (ob CHP, SPD, Gewerkschaften für Rüstungsarbeiter*innen oder pseudo-linken Populist*innen wie Wagenknecht) werden wir in den anstehenden Auseinandersetzungen wie gewohnt nichts Positives zu erwarten haben. Wir alle müssen selbst aktiv werden. In diesem Sinne:

#RefugeesWelcome
Nieder mit der Festung Europa!
#StoppErdogan
Nieder mit der AKP!
Nieder mit dem Faschismus in der Türkei!
Für ein gemeinsames & demokratisches Europa von unten!
Mit den Menschen der Türkei!


Im dritten Teil des Artikels gehen wir 'Auf die Straße!', mit Bildern von den global stattfindenden Solidaritätsaktionen für die HDP und gegen die Verhaftungen in der Türkei.

Bis bald!
xxx
Magenta



Artikel-Überblick:
#Freedom4HDP ★1★ Weder Anfang noch Ende
#Freedom4HDP ★2★ Nicht genug besorgt: EU & Türkei
#Freedom4HDP ★3★ Alles verboten! We Are All PKK!
#Freedom4HDP ★4★ Freie Medien - Freie Kommunikation


Blog articles about Turkey (selection):
...
Turkey is also a topic in most of my articles about #Rojava #Syria & #IS / #Daesh since autumn 2014.

Friday, September 9, 2016

Nieder mit der AKP ★ Solidarität mit Rojava ★ Blockupy III

Mit der Fahne der syrisch-kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPJ
auf dem Weg Richtung Brandenburger Tor
#Blockupy #Kurdistan #Demo Berlin 2 Sept 2016
Photo by XeKola @Xekola

Letzten Freitag startete beim Roten Rathaus am Neptunbrunnen in Berlins Mitte eine größere Demo gegen das AKP-Regime der Türkei unter Präsident Erdoğan. Besonders in der Kritik standen dabei die schmutzigen Deals Deutschlands und der EU mit dem türkischen Terrorregime, welches bekanntlich mit äußerster Brutalität gegen Kurd*innen und Oppositionelle aller Art vorgeht. Darüber hinaus wurde auch erneut Solidarität mit den im nordsyrischen Rojava gegen die von Erdoğan unterstützten IS-Terroristen kämpfenden Kurd*innen und ihre multi-ethnischen Alliierten (die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG & YPJ und die SDF (Syrian Democratic Forces)) demonstriert, weshalb ich mich dazu entschied, meine YPJ-Fahne, also die Flagge der dortigen Frauenverteidigungseinheiten, mit zur Demo zu nehmen, was im Nachhinein eine gute Idee war, auch wenn diese Fahnenstöcke vor und nach der Demo immer ein bißchen nerven.

Organisiert wurde die Demonstration im Rahmen des #Blockupy-Wochenendes gemeinsam von der Interventionistischen Linken (IL) und den wichtigsten kurdischen Gruppierungen in Deutschland: dem kurdischen Dachverband NAV-DEM (Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V.), dem kurdischen Studierenden-Verband YXK und dem mit der prokurdischen und linken 'Regenbogen'-Partei HDP (Partei der Völker) verbundenen Dachverband HDK (Peoples' Democratic Congress, türkisch: Halkların Demokratik Kongresi) aus der Türkei, der – wie auch die HDP selbst – mit diversen in der Türkei lebenden Minderheiten, linken, grünen, feministischen Gruppen und der LGBTIQ-Community assoziiert ist.

Mobilisiert hatten noch weitaus mehr Gruppen, darunter neben dem breiten Blockupy-Bündnis zum Beispiel die umtriebige North East Antifa (Prenzlauer Berg - Weißensee - Pankow ...), die in letzter Zeit auch in Berlin aktive ÖkoLinX-Antirassistische Liste, aber natürlich auch unser kleiner aber feiner Style! It! Takes! Twitter-Account {@magentanetzwerk}, der mittlerweile mit steigender Tendenz immerhin auch schon über 500 Follower*innen hat. :-)

Angesichts der aufrufenden Gruppen war der (mutmaßlich) 'kurdische' Anteil der Demo – etwa im Vergleich zu der Berliner Demo im Januar – leider eher überschaubar, das 'Blockupy-Spektrum' dominierte den Zug diesmal deutlich, während im Januar die 'deutsche' Linke noch durch weitgehende Abwesenheit geglänzt hatte. Dabei war das freundliche und trotz des ernsten und traurigen Themas manchmal fast fröhliche Miteinander von (vermutlich) kurdisch-türkisch-syrisch-stämmigen, deutschen, europäischen und nicht-europäischen Linken eines der Highlights der Demo, das Lust auf weitere gemeinsame Aktivitäten machte!

Und so zogen bei so gar nicht zum düsteren Thema passenden, strahlendem Sonnenschein ca. 800 - 1000 Menschen in einem sehr farbenfrohen und bunten Zug Richtung Brandenburger Tor, begleitet von Parolen gegen deutsche Rüstungsexporte, für die Refugees und gegen die Festung Europa und natürlich gegen Erdoğan und sein Terrorregime.

"Kein schmutziger Deal mit der Türkei! Menschenrechte, Demokratie und Frieden sind nicht verhandelbar" stand auf dem großen Front-Transparent. Dahinter YPJ- & Kurdistan-Fahnen, Öcalan-Flaggen, rote, 'anarchistische' und 'kommunistische' Fahnen aller Art, bunte Schirme, die lila-farbenen Fahnen der kurdischen Frauengruppen, sogar eine Gruppe von 'Piraten' und überhaupt Menschen aller Altersgruppen waren anwesend... auch wenn ich dennoch viele Leute, Kreise und Gruppierungen vermisst habe...
Photo by Tim Lüddemann @timluedde Berlin 2 Sept. 2016

Hintergründe und Themen der Demo – präsent in Form von Transparenten, Flugblättern und zahlreichen, meist guten und auch akustisch gut zu verstehenden Redebeiträgen – waren:

* die unglaubliche Repressionswelle in der Türkei mit Berufs-, Ein- und Ausreiseverboten, Massenentlassungen und Massenverhaftungen von mittlerweile bald 100.000 politisch missliebigen Personen, Zerschlagung der Presse- und Meinungsfreiheit, Rückkehr der Folter bis hin zu Ermordungen und einem vor der Tür stehenden Verbot der einzigen wirklichen Oppositionspartei, der linken, prokurdischen, multi-ethnischen, feministischen, LGBTQ-freundlichen HDP (Partei der Völker) als letzter 'Stolperstein' auf dem Weg hin zur Errichtung eines islamo-faschistischen Präsidialsystems als Diktatur des Autokraten und Möchtegern-Sultans Erdoğan.

Diese Brutalisierung der ohnehin immer schon schlimmen 'türkischen Verhältnisse' begann übrigens mit voller Wucht im Sommer 2015 und ist entgegen anderslautender Behauptungen keinesfalls Folge des gescheiterten Putschversuches mutmaßlicher Anhänger der 'Gülen-Bewegung' vom 15. Juli 2016, der nur die Steilvorlage für die Erklärung des jetzigen, im Grunde schon die ganze Zeit geltenden 'Ausnahmezustands' war.

* Protest gegen die täglich neuen Gewalteskalationen in der Türkei, insbesondere den ebenfalls seit Sommer 2015 laufenden erneuten Krieg gegen die Kurd*innen mit brutalen Dauer-Ausgangssperren und der Bombardierung und Zerstörung kurdischer Stadtviertel im Südosten der Türkei mit Hunderten von Toten (siehe hierzu meinen Artikel #TurkeysWarOnKurds, der das Ausmaß der Zerstörungen anhand zahlreicher Bilder dokumentiert). Seither wurden ganze Städte – darunter auch die zuvor als UNESCO-Weltkulturerbe eingestufte Altstadt von Diyarbakir (kurdisch: Amed) – von der türkischen Armee und ihren Panzern dem Erdboden gleichgemacht und Zehntausende Kurd*innen vertrieben.

* die brandgefährlichen außenpolitischen Kapriolen des türkischen Präsidenten Erdoğan und anderer Vertreter seiner AKP (vgl. auch meinen Post "Das Lied vom totalen Scheitern von Erdoğans Außenpolitik"), zuletzt etwa sein neues Bündnis mit Putin, die laufenden Maulkörbe für Deutschland (Stichworte: Klagen gegen die Satiriker*innen von extra3 und Jan Böhmermann, das Gezerre und die Drohungen um die Armenien-Resolution des Bundestages, Verhinderung von Abgeordnetenbesuchen der Bundeswehr in der Türkei, ein paar Tage nach der Demo dann die Beschlagnahme des Friedman-Interviews...), die ständigen türkischen Bombardierungen im Irak, der Einmarsch der türkischen Armee und mit ihr verbündeter Dschihadisten in Syrien.

* Solidarität mit Rojava (Nordsyrien), also den von Kurd*innen und ihren Alliierten von den IS-Terroristen (Daesh) befreiten und revolutionär-selbstverwalteten Gebieten, die – nachdem die von der Türkei unterstützten IS-Dschihadisten vertrieben wurden – laufend vom türkischen Militär angegriffen werden.

* die verschiedenen 'Deals' Deutschlands und der EU mit dem türkischen Regime, die dieses überhaupt am Leben erhalten (siehe die beiden nächsten Kapitel)


Ins 'Herz der Bestie'

Es war letztlich doch ein erfreulich langer Zug durch Berlins Mitte
Photo by Denis Bauer Berlin 2 Sept 2016 (via HDK-HDP Berlin)

Da die all diese Themen betreffenden Meldungen jeden Tag neue, traurige Höhepunkte erreichen, war ich regelrecht froh, dass es endlich wieder eine neue, größere Solidaritätsdemonstration in Berlin gab, die die Politik des menschenverachtenden AKP-Regimes in der Türkei und die hanebüchende Zusammenarbeit der Bundesregierung mit diesem entschieden verurteilt.
Der Fokus auf deren schmutzige Deals – wozu nicht nur der 'Flüchtlingsdeal' zwischen der EU und der Türkei gehört, sondern auch deutsche Waffenlieferungen, das auf Wunsch der Türkei auch in Deutschland und der EU geltende Verbot der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) mit der entsprechenden Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung auch in Deutschland, die enge wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zwischen den Ländern und das mit all dem einhergehende tödliche Schweigen unserer Regierung und auch von staatsnahen Teilen der Medien – war für eine Demo 'im Herzen der Bestie' gut gewählt.

"Beautiful demo in #Berlin in front of the Brandenburger Tor (symbol of German imperialism)
#TwitterKurds #Rojava"
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin, text as shared on our Twitter-Account.
2 Sept. 2016


Gegen die Deals mit Erdoğans Terrorstaat

No Deals with the AKP regime - Peace & Freedom for Kurdistan
Banner @ Rojava solidarity rally Berlin 2. 9.
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin

Da die immer häufiger ins Absurde kippende "Abhängigkeit" (Politikername dieses Zitats kann selbst ausgefüllt werden) Deutschlands von der Türkei als "Bollwerk für die Abschirmung von Migrant_innen, die vor Krieg, Hunger und in ein besseres Leben fliehen" (aus dem gemeinsamen Aufruf von NAV-DEM / HDK / IL) und das damit einhergehende anhaltende Schweigen zu den täglichen brutalen Menschenrechtsverletzungen und der Kriegspolitik der Türkei vor allem mit dem von der Bundesregierung und der EU unter Federführung von Angela Merkel (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Martin Schulz (SPD) eingefädelten 'Flüchtlingsdeal' mit der Türkei begründet wird, macht es Sinn, diesen ins Visier zu nehmen und seiner Grundlage zu berauben. Denn hinter all dem stehen ja letztlich die rassistische Stimmung in Deutschland / Europa und die Wahlerfolge rechter Parteien wie der AfD (siehe hierzu meinen Post "Alle faschistischen Deutschen (AfD)..."), die – zusammen mit den europäischen 'Architekten' des Flüchtlingsdeals und den mit Ausnahme der HDP vollkommen apathischen türkischen 'Oppositionsparteien', der kemalistischen CHP und der nationalistischen MHP – trotz ihres (nicht nur) anti-türkischen Rassismus und ihrer Islamophobie zu Erdoğans wichtigsten Steigbügelhaltern geworden sind.

Über Hintergründe und Details dieses tödlichen Pakts habe ich schon im März ausführlich berichtet (siehe "Merkel & die EU zwischen AfD und AKP"), weshalb ich es hier bei dem Hinweis belassen möchte, dass meine dort vertretende Einschätzung sich seither leider mehr als bewahrheitet hat. Meine These war, dass Gewinner dieses Deals nur die AKP in der Türkei und die AfD in Deutschland sein würden, während die Verlierer*innen die Flüchtlinge, die Kurd*innen und die Opposition in der Türkei (wie auch in Deutschland) sein würden. Und genau so ist es auch gekommen. Selten hat es mich mehr geärgert, Recht behalten zu haben.

Die aktive Mittäterschaft der SPD kann angesichts einer aufgrund der falschen Beweggründe schon lange mehr als fragwürdigen "Merkel muss weg"-Stimmung übrigens nicht oft genug betont werden, bevor sich der vollkommen unverständlich beliebte Außenminister und der Rest seiner Partei wieder als vermeintliche Menschenrechtspartei hinter der Kanzlerin verschanzen, während Parteichef und Vizekanzler Gabriel laufend Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien oder in die Türkei genehmigt...

Zu den wenigen im Bundestag vertretenen Parteipolitiker*innen, von denen immer wieder Kritik geäußert wird, gehören vor allem Vertreter*innen der Grünen (etwa Cem Özdemir) und der Linken (etwa Ulla Jelpke oder Katja Kipping). Dies ist übrigens keine Wahlwerbung, sondern schlicht und einfach eine Feststellung. Auf der Blockupy-Demo spielten Vertreter*innen dieser Parteien gegenüber linken, autonom-undogmatischen oder antirassistischen Gruppen allerdings meinem Eindruck nach übrigens keine größere Rolle, auch wenn einzelne präsent waren.

Wie schon in meinem genannten Artikel vorgeschlagen, kann der "abscheuliche Knoten" aus dem "Ineinandergreifen von innereuropäischem Rassismus, Abschottung der 'EU-Festung Europa' und AKP-Diktatur in der Türkei" nur in 'Handarbeit' aller, "denen Menschenrechte, Demokratie und Selbstbestimmung irgendetwas bedeuten", zerschlagen werden. Dazu zähle ich vor allem "Flüchtlingsunterstützer*innen, Human Rights Aktivist*innen, Antira- und Antifa-Gruppen, die kurdische Bewegung und ihre Unterstützer*innen" (alle Zitate aus "Merkel & die EU zwischen AfD und AKP"), also ziemlich genau die, die bei der Demo auf der Straße waren.

Eine von Aktivist*innen aufgebaute Info-Mauer informierte unter anderem über die tödlichen Folgen des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals und der Festung Europa, aber auch die deutsch-türkischen Waffendeals und Wirtschaftsdeals (Photo weiter unten). Auf der Rückseite befand sich übrigens ein überdimensionales Photo eines kurdischen Kindes in einem von der türkischen Armee zerschossenen Stadtviertel im Südosten der Türkei. Solche und andere Gewalttaten des AKP-Regimes unter Erdoğan produzieren mittlerweile auch immer größere Zahlen von (vor allem kurdischen) Binnenflüchtlingen und ganz aus der Türkei fliehenden Menschen.
Die Türkei der AKP ist schon lange kein "sicherer Drittstaat" mehr, sondern selbst ein Fluchtgrund!
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016


Solidarität mit Rojava


'Selfie' meiner YPJ-Fahne mit Fernsehturm beim Alexanderplatz im Hintergrund.
Ich fordere ja schon länger, dass Berlin (wie Rom) Partnerstadt von Kobanê
oder einer anderen kurdisch-geprägten Stadt in Rojava werden sollte.
Hat das schon jemand im Programm für die Wahlen am 18. Sept. in Berlin?
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016

Während die Nachrichten aus dem nordsyrischen Rojava seit der Befreiung der Stadt Kobanê Ende Januar 2015 (wir berichteten ausführlich) in ihrem Verlauf insgesamt dauerhaft 'positiv' waren, weil es den kurdisch-alliierten Kräften seit Kobanê gelungen ist, immer weitere Teile Nordsyriens von den Schlächtern des dschihadistischen IS-Kalifats (Daesh) zu befreien (siehe auch die Artikel "Mit Pferdeschwänzen gegen Terroristen" und "Der kürzeste Weg nach Tall Abyad"), hat, um es auf den Punkt zu bringen, Erdoğan seither keine Gelegenheit ausgelassen, wieder alles zu vermasseln und die höchst erfreuliche Entwicklung (im wahrsten Sinne des Wortes wie auch im übertragenen Sinne) zu 'torpedieren'. Nach dem hoffnungsfrohen Wahlerfolg der HDP im Juni 2015 griff er zunächst die kurdische Bewegung in der Türkei an, die sich seit jenem Sommer (wie bereits ausgeführt) in rasenden Schritten auf eine Ein-Mann-Diktatur zubewegt hat. Parallel setzte er die brutale Entwicklung im eigenen Land aber auch im Nachbarland Syrien fort, zunächst mit der – der Weltöffentlichkeit wie auch den russischen, deutschen und anderen Nachrichtendiensten bekannten – türkischen Unterstützung der IS-Dschihadisten und anderer islamistischer Gruppierungen, dann mit wiederkehrendem Artillerie-Beschuss der unter großen Opfern von den IS-Barbaren befreiten Regionen über die Grenze hinweg.

Am 24. August 2016, also wenige Tage vor der Demo, ist die türkische Armee unterstützt von der Turkish Air Force und angeblichen 'Rebellen' (unter denen sich abermals zahlreiche islamistische Dschihadisten befinden) nun nach 5 Jahren brutalem Bürgerkrieg auch noch direkt im kriegszerstörten Syrien einmarschiert. Ziel der Operation ist nicht – wie teilweise behauptet – den IS zu zerschlagen, sondern, wen sonst, die äußerst erfolgreichen syrischen Kurd*innen und ihre multi-ethnischen, säkularen und multi-religiösen Verbündeten (darunter syrische Araber*innen, Assyrer*innen, Turkmen*innen, Muslime, Christ*innen, Alevit*innen usw.), die noch kurz zuvor gemeinsam die wichtige Stadt Manbij vom IS befreit hatten.

Mit der türkischen Intervention ist die bisher von den USA unterstützte, seit Kobanê anhaltende erfolgreiche kurdisch-alliierte Offensive gegen den IS (Daesh) vorerst zum Stoppen gebracht worden, während sich von Erdoğan unterstützte Dschihadisten und Islamisten als 'Ersatz' für den am Boden liegenden IS nördlich von Aleppo breit machen können. Erklärtes Ziel der Türkei ist eine vollständige Zurückdrängung der Kurd*innen auf das Ostufer des Euphrat, also eine komplette Aufgabe der mit US-Unterstützung unter lebensgefährlichem Einsatz im Laufe dieses Jahres befreiten Gebiete westlich des Flusses! Unverschämter geht es fast nicht mehr. Und 'die Welt' schweigt mal wieder.

Protest gegen die Menschenverachtung der IS-Dschihadisten
und
Erinnerung an die zentrale Rolle der Stadt Kobanê (Kobanî)
im Kampf um die Befreiung Rojavas
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016

Gleichzeitig fährt die Türkei auch östlich des Euphrat fort mit einem – wie zu Befürchten steht ganz im Sinne des EU-Flüchtlingsdeals – Mauerbau (!) entlang der nordsyrisch-türkischen Grenze und auf zu Syrien gehörendem Territorium von Rojava (etwa dringend benötigte landwirtschaftliche Flächen in der Nähe von Kobanê, siehe hierzu auch "Die Rückkehr des zivilen Lebens in Kobanê" sowie die aktuellen Photos unten), denn so ganz ohne imperiale Grenzausdehnung der Türkei macht Erdoğan natürlich nichts. Die protestierenden Einwohner*innen Kobanês, die keine Mauer, sondern dringend einen humanitären Korridor für Hilfslieferungen benötigen, wurden in den letzten Tagen von der Türkei 'wie gewohnt' mit Wasserwerfern, Tränengas und Geschossen attackiert, wobei es neben Dutzenden Verletzten auch Tote gab. Als der IS Kobanê monatelang brutal belagerte, schaute die türkische Armee gelangweilt von der anderen Seite aus zu und die Grenze zur Türkei war sperrangelweit offen für Waffen-, Sprengstoff- & Rekrutentransporte der IS-Terroristen. Jetzt, wo die Dschihadisten vertrieben sind, greift der 'NATO-Partner' und 'strategische Verbündete' der EU die Zivilist*innen an:

Der nächste Mauerbau sponsored by EU: #TerroristTurkey
"Turkey military attacks #Kobane residents protesting the border wall w. tear gas-water cannons this morning #EU #US"
Both photos & English text via @nighttides 2 Sept 16

Der Westen, insbesondere die EU, die NATO und das US-geführte Anti-IS-Bündnis "Operation Inherent Resolve" (OIR), sollten sich langsam mal entscheiden, wen sie in diesem Krieg eigentlich unterstützen, nachdem Tausende ihr Leben für den Kampf auch um unsere Freiheit verloren haben. Unter diesen sind übrigens nicht nur Kurd*innen und andere freiheitsliebende Menschen aus Syrien, sondern auch Freiwillige aus aller Welt, darunter mittlerweile auch schon drei gefallene Internationalist*innen aus Deutschland. Das Trauerspiel der westlichen Türkei- und Syrien-Politik ist wahrlich zum Fremdschämen. Auch dagegen wollte ich mit meiner YPJ-Fahne ein Zeichen der Solidarität mit den tapferen und leidgeprüften Menschen in Rojava setzen, die dort trotz alledem ein "demokratisches, friedliches Miteinander aller Nationalitäten, Religionen und Geschlechter" aufbauen, in einem alternativen Gesellschaftsmodell, dessen "Freiheitsrechte, basisdemokratische Selbstverwaltung und Selbstbestimmung" einzigartig in der kriegsgeplagten Region sind und "den einzigen erfolgversprechenden Lösungsansatz für eine nachhaltige Befriedung des Nahen Ostens" darstellen (Zitate aus dem gemeinsamen Aufruf von NAV-DEM / HDK / IL). Ich bitte in diesem Zusammenhang und mit Blick auf das Photo oben rechts auch um Beachtung der Tatsache, dass in der autonomen Region Rojava Frauen selbst entscheiden können, ob sie zum Beispiel ein Kopftuch tragen und gleichberechtigter Teil der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch militärischen Entscheidungen sind, während wir in der Türkei und teilweise auch in Europa (etwa das reaktionäre Frauenbild der AfD) einen anti-emanzipativen, anti-feministischen Backlash erleben...

Flagge zeigen vor dem Brandenburger Tor:
Die Frauenverteidigungseinheiten YPJ gehören zu den erfolgreichsten Gruppen im Kampf gegen die IS-Dschihadisten. Hier habe ich meine Fahne mal kurz für dieses Photo an eine Mitdemonstrantin ausgeliehen.
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016


Die tödlichen Mauern zum Einsturz bringen

Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt!
... und besonders in der Türkei!
"Well prepared: Activists built a wall @ Rojava Solidarity Rally Berlin informing abt
#Germany's arm trade to #Turkey"
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin, English text as shared on our Twitter-Account.
Berlin 2 Sept. 2016

Angesichts der dramatischen Situation in der Türkei und der türkischen Intervention im nordsyrischen Rojava bei gleichzeitigem, mittlerweile offen begründeten Stillschweigen der Bundesregierung und der EU muss Druck auf die Türkei vor allem 'von unten' kommen.

Dazu gehört ein vollständiger Tourismus-Boykott (auch dazu gab es übrigens ein gut gemachtes Flugblatt) und der Verzicht von Waren aus der Türkei, ganz egal ob es sich dabei um Mode / Textilien, Nahrungsmittel oder Dienstleistungen (Stichwort: Turkish Airlines) handelt.
Es geht dabei natürlich um Himmels Willen nicht darum, den sogenannten 'türkischen Gemüsehändler' oder 'Späti' um die Ecke zu boykottieren, denn abgesehen davon, dass es sich bei diesen auch öfters um Kurd*innen oder andere Landsleute handelt, ist normalerweise nur ein kleinerer Teil von deren Waren aus der Türkei. Spanische Oliven oder griechischen Schafskäse zu boykottieren bringt nicht nur nichts, sondern ist auch unfair den meist netten Läden gegenüber und es darf nicht dazu führen, das gewachsene Zusammenleben mit aus der Türkei stammenden Menschen in Europa zu stören. Also Augen auf bei den Beschriftungen (Feigen aus der Türkei gibt es z. B. auch in Supermärkten), denn die Wirtschaft in der Türkei kriselt schon länger, der Tourismus liegt am Boden (wie ich höre, gehen jetzt alle nach Bulgarien & Griechenland ♥), die Investitionen auch und ein weiterer Abschwung könnte den Rückhalt von Erdoğan verringern und die Chancen für ein Einlenken in Bezug auf Friedensverhandlungen mit der kurdischen Bewegung erhöhen, zumal diese Boykott-Kampagnen mittlerweile weltweit laufen.

Boycott #TurkeysWarOnKurds
No holidays in Turkey, no fashion from Turkey, no food from Turkey...!

  
Boycott 'Made In Turkey'
Pic via @KurdisCat (Spain)

Boycott Turkish Airlines
Anti Turkish Airlines Poster
"Proud sponsors of IS Terrorism"
der Kampagne #DontGoTurkey
via @AnilElbistanli


Jenseits dessen lauten die wichtigsten
Forderungen der Stunde
meiner Ansicht nach:

in Richtung Deutschland / EU:

Aufkündigung des Flüchtlingsdeals mit der Türkei
stattdessen mehr Hilfen für Griechenland und bessere Verteilung in der EU

Humanitäre Hilfen für die selbstverwaltete Region Rojava
und die Zehntausenden von Flüchtlingen, die sie aufgenommen hat

Stop jeglicher deutscher Rüstungsexporte in die Türkei

Abzug der Bundeswehr aus der Türkei
(falls die Bundesregierung nicht auf ihren Syrien-Einsatz verzichten will, gibt es übrigens auch Alternativen auf Flughäfen in Griechenland und Malta...)

Weg mit dem PKK-Verbot in Deutschland / EU
(das kann auch mit einer schrittweisen Entkriminalisierung erfolgen, etwa der Abschaffung von 'Propagandadelikten' etc. ähnlich wie in der Schweiz)


in Richtung Türkei:

Abzug der türkischen Armee aus Rojava & Syrien

Schluss mit dem Mauerbau entlang Nordsyriens

Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen in der Türkei

Schluss mit der Kriminalisierung der Opposition


Dem Abbau der Info-Mauer am Ende der Demo müssen weitere Taten folgen, denn
sämtliche tödlichen Mauern der Türkei und der EU müssen eingerissen werden:
die Mauern gegen Demokratie & Menschenrechte in der Türkei,
die türkische Mauer (und die damit zusammenhängende Wirtschaftsblockade) an der Grenze zu Rojava / Syrien und
die tödlichen EU-Außengrenzen der Festung Europa.
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept. 2016


Blicke in die Zukunft



Ach wären die echten Mauern nur so einfach zum Einsturz zu bringen wie die bisweilen etwas wacklige Info-Mauer, die ab und an sogar von uns Demonstant*innen 'gestützt' werden musste...
Alle drei Photos von Denis Bauer Berlin 2 Sept 2016 (via HDK-HDP Berlin)

Insgesamt war es eine tolle Demo, für mich aufgrund des mir sehr am Herzen liegenden Themas und besonders der netten Atmosphäre die Beste in Berlin seit langem. Nur die diesmal vergleichsweise schwache kurdische Beteiligung war ein bisschen schade. War der Blockupy-Rahmen für manche abschreckend oder waren schon alle auf dem Weg nach Köln? Dort demonstrierten am nächsten Tag fast 30.000 (vor allem) Kurd*innen auf einer Großdemonstration, auf dem gleichen Gelände auf dem wenige Wochen vorher eine ähnliche große Zahl (vor allem) türkischer AKP-Anhänger und Erdoğan-Fans demonstriert hatte. Anwesend waren dort auch Spitzenvertreter der wichtigsten kurdischen Parteien, Selahattin Demirtaş von der HDP und Salih Muslim von der syrisch-kurdischen PYD (der zu den YPG / YPJ gehörenden Partei). Im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen, wo z. B. auch im Dezember 2015 schon eine bundesweite kurdische Großdemonstration in Düsseldorf mit über 15.000 Besucher*innen stattgefunden hat (bei der Newroz-Demo in Hannover waren es im März immerhin auch über 12.000), tut sich Berlin scheinbar immer noch etwas schwer mit größeren Mobilisierungen zum Thema, auch wenn mir noch nicht ganz klar ist, woran es liegt.

Wenn wir diesbezüglich mehr Druck im 'Zentrum der Macht' ausüben wollen, müssen die kurdische Bewegung, die türkische, syrische, irakische etc. Linke (Stichwort: Flüchtlinge) und die hiesige linke, antifaschistische und antirassistische 'Szene' wohl noch stärker zusammen kommen, denke ich. Für Antifas sollte das Thema 'Türkei auf dem Weg in den Faschismus' doch auch relevant sein, für Antirassist*innen die rassistische Diskriminierung und Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen in der Türkei, für Flüchtlingsgruppen ist der 'Flüchtlingsdeal' ein zentraler Anknüpfungspunkt, für vor islamistischem Terror Geflüchtete (z. B. auch aus dem Iran) der Kampf gegen den IS, für Friedensinitiativen die deutschen Rüstungsexporte, für queer-feministische Gruppen die gewaltsame Niederschlagung emanzipatorischer Kämpfe in der Türkei, für linke Ökolog*innen, Gewerkschaftler*innen, Internationalist*innen, Feminist*innen und Revolutionäre das selbstverwaltete Projekt in Rojava... Soviele Berührungspunkte... und alles hängt eng miteinander zusammen. Es gibt also noch viel zu tun und zu vernetzen. Die Demo war aber ein guter und vielversprechender 'Anfang', der – das möchte ich zum Abschluss noch einmal betonen – überraschenderweise auch sehr viel Spaß gemacht hat.

Danke an die Organisator*innen und alle, die dabei waren!


Straßentänze

Da ich mir sehr viel Mühe gegeben habe, mein Outfit in den 'kurdischen Farben' zu halten, war ich ganz froh, dass ich ein recht beliebtes Photo-Motiv wurde... Weil sich in meinem Kleiderschrank aber partout keine gelben Sachen finden, habe ich mir zu dem roten Blumentop und den (eigentlich zu warmen) grünen Stiefeletten mit einem gelblich-grünen Einkaufsbeutel beholfen... (^.^) Hat anscheinend funktioniert, jedenfalls gab's viel positives Feedback dafür und mehrere nette Photograph*innen, die es festgehalten haben...
Dieses Bild entstand beim Fahne schwenken während mir direkt gegenüber
Demonstrant*innen anfingen auf der Straße zu tanzen. :-)

Beide Photos sind von Denis Bauer und wurden auf der Facebook-Seite der HDK-HDP Berlin veröffentlicht,
wo es ein ganzes Album zur Demo gibt.

Ein Lob an dieser Stelle auch für die tolle, abwechslungsreiche und gut eingesetzte Lauti-Musik, die die bunte Demo gut widerspiegelte, indem neben eher üblicher linker 'Demo-Mucke' zum Beispiel auch traditionelle und zeitgenössische kurdische Musik oder Songs der (wie ich finde manchmal übertrieben kritisierten) in den USA lebenden kurdisch-irakisch-finnischen Latin/Middle East-R&B-Popsängerin Helly Luv (bekannt für Songs wie "Risk It All" (2014) und "Revolution" (2015)) liefen, was als Demo-Soundtrack übrigens verdammt gut kam!
[Eine Vorstellung von Helly Luv mit Photos und dem sehenswerten "Risk It All"-Video befinden sich übrigens am Ende meines Artikels "The Politics of the Future"].

Final 'flag selfies'
by
STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016


FUN FACT zum Abschluss:
Da die anderen YPJ-Fahnen während der Demo an Demonstrant*innen verteilt worden waren und am Ende wieder eingesammelt wurden, kamen nacheinander insgesamt sechs (!) verschiedene Leute aus dem Orga-Team zu mir und wollten auch meine Fahne 'einsammeln'.
Die hatte ich aber bei der Demo im Januar von Aktivist*innen gegen eine Soli-Spende
'ehrlich erworben', sie hängt seither bei mir hinter dem Schreibtisch und wohnt also quasi
bei mir zu Hause.
Ich durfte sie dann auch wieder dorthin zurückbringen.
(^.^)

... wobei es gar nicht nach Hause ging, womit wir wieder beim lästigen Herumtragen von Fahnenstangen wären. Aber das hatten wir schon.
;-)

Ende der Demo, Ende des Artikels,
für's Erste erschöpft.

xxx
Eure
Magenta

Es folgt wohl noch ein Teil IV der kleinen 'Blockupy-Serie'.
Bisher erschienen sind:
Nieder mit der AKP ★ Solidarität mit Rojava ★ Blockupy III

... und hier ist auch der letzte Teil:
Grenzenlos. Feministisch. Solidarisch ★ Kampf der AfD! #Blockupy IV

Bei etwaigen Bitten um Entfernung eines Photos,
Anfragen oder Korrekturen:
Kontakt via Twitter-DM
Magenta
Ansonsten an dieser Stelle noch einmal
ganz herzlichen Dank an die Photograph*innen!
Falls jemand Bilder benutzen will,
bitte wie auch hier im Blog üblich
die Quellen und deren Namen nennen.