Friday, October 3, 2014

Ein Minderheiten-Quartett


[This is a review of a new card game called "Quartette of minorities", making fun of the hair-raising political discourse about minorities in Germany. Since the game is in German anyway, there is no English translation available. But - it's fun, and German speaking minorities may help the English speaking minorities to play and understand!!! :-)]

Kürzlich bekam ich ein Rezensions-Exemplar des "Minderheiten-Quartetts" zugeschickt - das habe ich mit meinen Freundinnen zum Anlass genommen, einen lustigen Spieleabend zu veranstalten. Spaßeshalber haben wir beim Sichten und Mischen der Karten mal geguckt, welchen Minderheiten wir vier Spielerinnen uns selbst zugehörig fühlen. Da kam erstaunlich viel zusammen: drei Punkerinnen, zwei Lesben, drei Feministinnen, eine Autistin, eine Jüdin, eine Hartz IV - Empfängerin, eine Transsexuelle - und eine Pygmäin!!! (^.^) Auch eine "Studentin" und eine "Künstlerin" weilten übrigens unter uns, wofür sich die Betreffenden vielleicht so schämten, dass sie die Kategorien nicht in ihre Selbstbezeichnungen aufgenommen haben *lach*... oder waren die Karten in dem anderen Haufen? Denn hätten wir die Karten des Ergänzungsspiels mit dem schönen Titel "Soziale Kernschmelze" auch noch einbezogen, wären vermutlich noch "AKW-Gegner", "Papst-Gegner" (beide aus der Gruppe "Wutbürger"), "Cosplayer" (Gruppe: "Freaks") und weitere Minderheiten dazugekommen... Dann mussten wir erst einmal entscheiden, wer die Dümmste von uns ist, denn "Der dümmste Spieler beginnt"... Gespielt wird übrigens "im Uhrzeigersinn. Oder gegen den Uhrzeigersinn. Je nach dem, wie spät es gerade ist" wird in der Spielanleitung gewitzelt.

♥♥ Unser 'semi-lesbischer' 'Girlie'-Abend ♥♥

MINDERHEITEN & LEITKULTUR

Anlass für das "politisch semi-korrekte" Kartenspiel ist eine Äußerung des von der CDU bestellten Gutachters Prof. Dr. Winfried Kluth im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zur Ergänzung des Antidiskriminierungsgesetzes, der die Erweiterung von Diskriminierungsverboten im 3. Artikel GG um den Bereich der "sexuellen Identität" mit der Begründung ablehnte, ein Diskriminierungsschutz von Lesben und Schwulen stehe dem Ziel der Integration von Muslimen im Wege (!!!), da bei diesen die Akzeptanz für nicht-heterosexuelle Lebensweisen "wenig entwickelt" (Kluth) sei. In der Erklärung zum Spiel heisst es dazu: "In der Union hat man scheinbar sehr genau erkannt, dass man die im Umlauf befindlichen Klischees zu einzelnen Minderheiten geschickt nach der aktuellen Hysterielage auswählen und für sich nutzbar machen kann, indem man vermeintliche Interessen mehrerer Randgruppen einfach gegeneinander ausspielt. Immerhin muss man so nicht selbst erklären, dass man Schwule scheiße findet und nicht im Traum daran denkt, sie rechtlich mit anderen Bürgern gleichzustellen. Diese Haltung kommt lediglich getarnt als Sorge um die Integration der Moslems zum Ausdruck und ist als Argument scheinbar ausreichend, um einer anderen Gruppe ihre Rechte vorzuenthalten. Dafür nimmt man dann auch gern in Kauf, Moslems per se als xenophobe, rückständige Dumpfbacken hinzustellen."

Minderheiten gegeneinander ausspielen, Minderheiten in die "Wertegemeinschaft" der "Leitkultur" eingliedern, Minderheiten ausstechen... darum geht's im Minderheiten-Quartett. Denn:

"Wir können sie nicht leiden, weil sie anders sind. Ständig nörgeln sie herum und fordern nimmersatt ihre 'Rechte' ein: Minderheiten.

Doch jedes Kind weiß: Die egoistischen Forderungen der Minderheiten schaden dem Allgemeinwohl, denn sie zersetzen unsere Leitkultur. Das dürfen wir nicht tolerieren! Ziel des Spiels ist es also, so viele Minderheiten wie möglich mundtot zu machen. Am effektivsten geht das, indem wir sie ungefragt in unsere Wertegemeinschaft assimilieren und zum Hohn mit Rechten zweiter Klasse abspeisen. Da die größte Wertegemeinschaft immer Recht hat, gewinnt am Ende der Spieler, der die Mehrheit der Minderheiten sammeln konnte." (aus der Spielanleitung)


Die Sieg-Stapel. Beim Spielen haben alle nur drei Karten in der Hand!

DIE KARTEN

Diese 'doitsche' Wertegemeinschaft ist - allen Unkenrufen zum Trotz - immernoch weiß, christlich, heterosexuell - und männlich. Alles andere ist dem untergeordnet, selbst Frauen und die vielen Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, obwohl es sich bei beiden Gruppen statistisch gesehen nicht um Minderheiten, sondern sogar um Mehrheiten handelt (Bevölkerungsanteil: 50,9 % weiblich / 49,1 % männlich, Konfessionslose in Ost- & West-Deutschland: 36,6 % - mehr als jede Religionsgemeinschaft, in Ostdeutschland: 75,4 %).
So gesehen passt es, dass auch im Spiel alle Minderheiten in der vorherrschenden (!) männlichen Sprachform gehalten sind - sogar "Feministen", was hier einen (wohl nicht zufälligen?) 'aufklärerischen' Charakter hat, da es daran erinnert, dass es auch männliche "Feministen" gibt. ;-) Die Bilder dagegen karikieren die Minderheiten, und zwar genau so, wie sie von anderen gesehen werden - kein Klischee wird ausgelassen: der krummnasige Jude, die gesteinigte Muslimin, der pädophile Pfaffe, der Nazi mit der Baseballkeule usw. Die Position der Minderheiten wird in - manchmal recht lustigen - Forderungen zusammengefasst, zum Beispiel wollen die Kinder "ihre Zukunft selbst verspielen" und Wachkomapatienten "endlich einmal richtig durchschlafen".
In einem Zusatzkommentar werden Minderheiten miteinander in Bezug gesetzt, so wissen "Feministen" "alles besser als Muslime", während "Wachkomapatienten" "öfter Sex als Feministen" haben. Solche Karten sind dann Trumpf gegen die angesprochene Minderheit und führen zum sofortigen Sieg im "Kampf". Auch lohnt sich ein näherer Blick auf die Punktevergabe - so haben "Wachkomapatienten" einen Bevölkerungsanteil von null, das heißt, sie sind nicht existent - eine Schelmin, die Böses dabei denkt... Auch "Pädophile" gibt es übrigens statistisch gesehen höchst selten (halber Stern) - entgegen dem Bild, das die Medienpropaganda zeichnet. Das ist manchmal aufklärerisch, manchmal lustig, manchmal verwirrend oder fragwürdig - meistens entspricht es schlicht den gängigen Klischees, etwa von den 'dummen Bild-Leser*innen' (ein Stern bei BILDung) mit ihrer grandiosen Forderung "Was wir fordern, sagt uns morgen die neue BILD!", die laut Karte aber immerhin "Analphabeten einiges voraus" haben oder den 'reichen Schwulen' (viereinhalb von fünf möglichen Sternen bei "Wohlstand"). Des Öfteren wird bei den Forderungen ein Volltreffer gelandet - sehr schön zum Beispiel die Forderung der Philosophen: "Da sind wir überfragt".

  

  

ALLE GEGEN ALLE

Uhrzeigersinn oder nicht - es geht also reihum und jede von uns durfte sich getreu den Spielregeln in ihrer Runde aussuchen, mit welcher 'ihrer' Minderheiten auf der Hand und in welcher Kategorie sie gegen wen antreten will. Natürlich nimmt frau dazu am besten die Kategorie, in der die jeweilige Minderheit die meisten Sternchen hat - wobei manche Minderheiten recht gut ausgestattet sind, während andere generell recht wenige Punkte aufbringen. "Nazis" zum Beispiel verlieren fast immer - "schlagen" aber (auch im Spiel!) "Juden" und "Neger". Die Herausgeforderte kontert mit einer zweiten Kategorie, in der sie selbst viele Punkte aufweisen kann. Zum Beispiel kann ein Pädophiler mit einem 5-Sterne-Schamgefühl locker ein Kind ausstechen, was keinerlei Schamgefühl hat (null Sterne), das Kind könnte ihn theoretisch aber in den Kategorien "Bevölkerungsanteil", "Homogenität" und "Gesellschaftliche Akzeptanz" übertrumpfen. Die Punkte werden addiert, so dass in diesem Fall der Pädophile gewinnt, selbst wenn das Kind seine hohe "Homogenität" (mit viereinhalb Sternchen) geltend macht, da es null "Schamgefühl" hat (6,5 : 4,5). Ohnehin sind Pädophile Trumpf gegen Kinder, wie auch auf der Karte vermerkt ist. Das heißt, der Ausgang dieser Runde ist vorherbestimmt, sobald die unwissende Spielerin auf die Kinder-Karte setzt (in der offiziellen Spielvariante, in der die Herausforderin nicht verrät, welche Minderheit sie spielt und nur die Kampf-Kategorie benennt). Der Pädophile kassiert also die Kinder-Karte und legt beide Karten auf seinen "Sieg-Stapel". Da Kinder in den Kategorien, in denen Pädophile 'stark' sind, äußerst schwache Werte aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit allerdings gering, dass die Gegnerin ausgerechnet diese Karte aussucht, um in den "Kampf" zu ziehen - es sei denn, sie hat keine andere Minderheit zur Verfügung, weil sie sonst nur noch Ereigniskarten in der Hand hält...

Es gibt überraschend viele Minderheiten...

ZIVILCOURAGE

Nicht immer ist so ein Minderheiten-Kampf gleich zu Ende - es ist nämlich auch möglich, mit einer Aktions- oder Gesellschafts-Karte ins Geschehen einzugreifen und zum Beispiel einer verlierenden Minderheit zu Hilfe zu kommen. So könnte ein "Hartz IV-Empfänger" (lustigerweise der Gruppe der "Ethnien" zugeordnet) mit einem ebenfalls 5-Punkte-Schamgefühl "Zivilcourage" zeigen (eine der Gesellschaftskarten) und den Kindern zu Hilfe kommen. Dann würden die Schamgefühls-Punkte der Kinder und des Hartz IV-Empfängers addiert (null plus fünf), so dass sie zusammen immerhin auf den gleichen Wert wie der Pädophile kommen. Damit wäre zumindest eine Patt-Situation erreicht und alle dürften ihre Karten behalten. Gewinnen die Bedrängte und die Couragierte jedoch den Kampf, profitiert vor allem die Couragierte: sie erhält zwei der drei Karten, die dritte geht an die ursprünglich unterlegene Spielerin. Die Nächstdümmste kommt dran und darf sich wieder eine Gegnerin heraussuchen, die sie mit ihrer Minderheit übertrumpfen will...

  
Das "Minderheiten-Quartett" (mit den Kategorien "Religionen", "Ethnien", "Sexualität", "Radikale", "Behinderte" und "Demographie") und die Kartenerweiterung "Soziale Kernschmelze" (mit den Kategorien "Wutbürger", "Berufe", "Freaks", "Lifestyle" und "Unterschicht")

SPIELERISCHE DISKUSSIONEN

Es hat ein Weilchen gedauert, bis wir uns in die für ein Quartett recht komplexen Regeln eingefunden hatten. Was passiert, wenn jemand nur noch Ereigniskarten, aber keine Minderheit mehr auf der Hand hat? (Antwort: im Normalfall Aussetzen) Wann und wie kann ich ein "Wahlversprechen" machen? (Antwort: Wenn ich dran bin. 'Wahlversprechen' dienen vor allem dazu, sich ganz bestimmte, für eine vollständige Gruppe benötigte Karten (zurück) zu erobern - egal ob sie sich auf den Händen der Mitspieler*innen oder bereits in den Siegstapeln verbergen) Aber nachdem wir uns mit den Karten, den Regeln und den verschiedenen Aktionsmodi vertraut gemacht hatten, fing es dann an zu flutschen. Lustig wurde es vor allem dann, wenn die eigene Minderheiten-Position ausgemalt wurde - "also i-c-h als Intellektuelle bin ja sehr gebildet... kein Wunder, dass ich gegen eine senile Rentnerin gewinne!"... Oder wenn ein soeben gewonnener "Kampf" durch die Aktionskarte "Die Bundesregierung greift ein!" wieder kassiert und auf den Kopf gestellt wurde: "Aufgabe der Bundesregierung ist es, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Gefährden Minderheiten durch lautstarke Proteste und rücksichtslose Forderungen den öffentlichen Frieden, ist ein schnelles Eingreifen alternativlos!"... Es können sich nämlich haarsträubende Begründungen ausgedacht werden, weshalb die beiden gerade streitenden Minderheiten sowieso die 'Leitkultur' gefährden und schwupps - gehen alle Karten an die 'Regierung', denn:
"Die Bundesregierung hat immer Recht!"!!! ;-)

INTERVENTIONEN & WENDUNGEN

Solche für taktische Interventionen einsetzbaren Ereigniskarten und die daraus resultierenden überraschenden Wendungen machen das Spiel spannend und heben es von einem normalen Quartett auch in Sachen Action deutlich ab. Im Erweiterungsspiel kommen sogar noch eine ganze Reihe satirischer Booster-Karten wie "Großdemo", "Freie Liebe", "Heiliger Krieg", "Verbeamtung", "Pflegestufe 3" oder "Karneval der Kulturen" hinzu, mit denen die Kampf-Werte der Minderheiten entschieden verschoben werden können, sowie neue Aktionskarten wie "Amoklauf" und "Volksentscheid" - dies haben wir noch garnicht ausprobiert. Die Punkte-Zählerei am Ende war demgegenüber zunächst etwas anstrengend - auch hier gibt es einiges zu beachten (Pluspunkte für vollständige Gruppen, Minuspunkte für auf der Hand verbleibende Karten etc.). Dafür regte das Spiel natürlich auch Minderheiten-bezogene Diskussionen an, was in jedem Fall ein netter Nebeneffekt oder vielleicht auch das eigentliche Ziel des Spieles aus Leipzig ist.

Uns hat's Spaß gemacht und wir werden demnächst bestimmt zum nächsten Spieleabend läuten. Jetzt kennen wir ja auch die Regeln und wissen, wie mensch Minderheiten gegeneinander ausspielt... - gewonnen hat übrigens 'die Dümmste'! :-)


Das Spiel gibt's bei Amazon und hier:
~ eine Rezension zum Tag der Deutschen Gemeinheit und den Dauerjubelfeiern zur 'Wiedervereinigung' ~

p. s.: Für eine dritte Ausgabe schlage ich die Minderheiten der "Ostdeutschen" (Trumpfkarte in der Gruppe "Religionen": "sind zahlreicher als 'Christen'"), "Autofahrer" (zu den "Wutbürgern"), "Fetischisten" (zu "Berufe") sowie
"(Mode-)Blogger" (zu "Ethnien", "bekommen mehr Freigetränke als 'Journalisten'" (Trumpf)) vor... (^.^)


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