Wednesday, April 11, 2012

BERLIN - DU BIST SO HÄSSLICH GEWORDEN...

„Und wer Herr einer bisher freien Stadt wird und sie nicht vernichtet, mag darauf gefasst sein, von ihr vernichtet zu werden. Denn die Bürger können sich bei einer Empörung stets auf ihre Freiheit und alte Verfassung berufen, welche weder die Zeit noch empfangene Wohltaten in ihrem Gedächtnis auszulöschen vermögen. Was für Maßregeln und Verkehrungen auch der Eroberer trifft: wenn er die Einwohner nicht auseinanderreißt und zerstreut, vergessen sie ihre Freiheit und Verfassung nie…“ (Machiavelli – Der Fürst)

Nein, es gefällt mir nicht, wie sich Berlin in den letzten Jahren entwickelt. Bei Streifzügen und Spaziergängen durch Prenzlauer Berg, Mitte und Tiergarten kam mir nach und nach der Gedanke, dass sich die Entwicklung Berlins in 3 wesentlichen Verfahrensweisen vollzieht.

RÄUMUNG (VERTREIBUNG)

„And we will die in the class we were born, but that’s a class of our own, my love“
(The Libertines)


Vor der 1992 besetzten und am 24. November 2009 geräumten Brunnenstraße 183 in Mitte verlangsame ich – von einer seltsamen Sentimentalität ergriffen – meinen Schritt, wechsele die Straßenseite, wende meinen Blick nach oben, wo noch immer die Parole zu lesen ist: „Wir bleiben alle“. In Kombination mit seinen leeren, glaslosen Fenstern wirkt das ziemlich gespenstisch. Wenn wir nicht alle bleiben, wo gehen wir dann hin? Und was soll aus dieser Stadt werden, wenn sie das Leben, welches in ihr pulsiert, nicht mehr ertragen kann oder will?

Berlin war mal reich an und berühmt für seine vielen besetzten Häuser. 1971 das ehemalige Bethanien-Krankenhaus am Mariannenplatz in Kreuzberg, legendär besungen von Ton Steine Scherben. Zur ersten Blütezeit der Hausbesetzungen 1980/81 waren rund 160 Häuser in West-Berlin besetzt; später etwa zur Hälfte legalisiert, zur Hälfte geräumt. Nach der großen Welle dieser legendären, oft militanten Häuserkämpfe wurden dann in den Jahren der so genannten Wende 1989 / 1990 wieder zahlreiche leer stehende, z. T. vom Abriss bedrohte Häuser vor allem in Ost-Berlin besetzt. Zwischenzeitlich waren das ca. 150 besetzte Häuser im Osten der Stadt. Andere Quellen sprechen von „mindestens 224 Häusern“ seit 1987. Während einige Häuser umgehend geräumt wurden, konnten sich andere länger halten und verteidigen. In den späten 1990ern wurden dann nach und nach auch seit Jahren existierende Projekte mehr oder weniger brachial beendet. So gab es u. a. 1995-7 eine große Räumungswelle, vor allem in Friedrichshain. In Prenzlauer Berg kam es noch im Juli 2002 zur Räumung der bereits im September 1989 besetzten Schliemannstr. 39 am Helmholtzplatz.

Die mit der Wendezeit einsetzende Besetzungswelle zog sich noch bis Mitte der 1990er Jahre und umfasste so bekannte Objekte wie die im November 1990 nach heftigen Kämpfen geräumte Mainzer Straße in Friedrichshain (und zahlreiche andere Häuser in deren Nähe), das bis heute lebendige ‚Tuntenhaus’ in der Kastanienallee 86 in Prenzlauer Berg, die immer wieder in ihrer Existenz bedrohte, umtriebige ‚Köpi’ und das derzeit in Räumung befindliche ‚Kunsthaus Tacheles’ in Mitte. Das angeblich wieder mal letzte besetzte Haus Berlins, die Liebigstraße 14 in Friedrichshain, wurde im Februar 2011 mit großem Polizeieinsatz geräumt. Damit endet vorerst ein Lebensstil, der auch Besetzungskreisen fernen Berliner*innen und den vielen, die aus aller Welt zugereist kamen, das Leben in der Stadt versüßte. Von den parallel zugrunde gegangenen zahllosen Club-, Kunst- und Kulturprojekten jenseits des Mainstreams ganz zu schweigen.

Schräg gegenüber dem leergeräumten Haus der Brunnenstraße 183, wo die Sanierung schon weiter fortgeschritten ist, hat der Unternehmer und Werbetexter Jean-Remy von Matt im November 2009 anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls, zeitnah zur Räumung des Squats gegenüber, die Hausfassade mit einem in akkurater Schrift angebrachten Klospruch versehen lassen (bevor seine Agentur sie selbst zu nutzen begann, hat Matt Weblogs als „die Klowände des Internets“ bezeichnet). Wie zum Hohn für die ehemaligen Besetzer*innen ist dort, wo sich in den Hinterhöfen immer noch und hoffentlich noch lange der rührige Club ZMF - Zur Möbelfabrik befindet, zu lesen: „Dieses Haus stand früher in einem anderen Land“. Dieses Land war nicht, wie suggeriert, die DDR. Dieses Land war ein Berlin, welches von den Wächtern der toten Gedanken noch nicht endgültig verschlungen war.

Leute wie von Matt haben diesen Zwischen-Raum vernichtet und überschrieben.

Mit den Räumungen gehen nicht nur lebendige Orte, Experimente mit Selbstverwaltung, bunte, laute und kantige Farbkleckse und eine Berlin-spezifische Stadtkultur verloren, sondern auch Zufluchtsorte für Berlins mindestens 11 000 Obdachlose, für Drogennutzer*innen, Ausreißer und andere freiwillig oder unfreiwillig am Rande der Gesellschaft lebende, die häufig auch in ‚stillen Besetzungen’ lebten oder auch dahinvegetierten. Und die Mieten steigen. In Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg liegt der Preis für Neuvermietungen mittlerweile bei rund acht Euro pro Quadratmeter, in Mitte stiegen die Mieten zwischen 2009 und 2010 um 13,7 Prozent, in Pankow um 8,5 Prozent.

Die Abgebrühtheit der die Stadt erdrückenden Makler, Investoren, Immobilienspekulanten, Neureichen und Bosse zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ihre täglich in Brand gesetzten Autos sie nicht dazu bringen, Berlin zu meiden, sondern ihre brennenden und qualmenden Luxus-Fahrzeuge nur noch zum Anlass nehmen, sich im Anschluss an ihr Business-Lunch in Mitte beim Bummel durch die Showrooms der Friedrichstraße nach einem neuen, besseren Modell umzusehen.

SCHLIESSUNG

„Die Bemühung aller etablierten Mächte, die Mittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den Straßen zu vermehren, gipfelt schließlich in der Abschaffung der Straße.“
(Guy Debord)

Den gleichen Eifer, den Mitte bei der Räumung ehemals besetzter Häuser und Projekte an den Tag legt, legt der Nachbarkiez Prenzlauer Berg bei der Schließung von Clubs an die Nacht.
Alarmiert von engstirnigen Eltern, die ganz Berlin am liebsten in eine Kindertagesstätte verwandeln würden, mussten allein in den letzten 2 Jahren der Magnet Club, der Knaack Club, das Icon und der Klub der Republik den dortigen Gralshütern des veganen Babybreis weichen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist Ausgehen in Prenzlauer Berg damit mittlerweile ungefähr so spannend wie Ausgehen in Konstanz. Eine kleine Uni-Stadt am Bodensee, an die sich eine von dort kommende Freundin von mir beim abendlichen Gang durch Prenzlberg angesichts leerer Straßen und bereits geschlossener Bars erinnert fühlte und der sich der Kiez leider mit großer Anstrengung annähert. Tut mir leid, Ronja, war mir auch peinlich.

So auf immer weniger Punkte konzentriert, bilden sich – wie einst in der DDR – immer längere Schlangen vor immer weniger übrig gebliebenen nächtlichen Schlupflöchern. Wo nur noch der Mangel verwaltet wird, sinken natürlich auch die geschmacklichen Hemmschwellen. Davon zeugen nicht nur die bodenlosen Outfits manch besonders Findiger, die sich durch Ablegen jeglichen Geschmacks Aufmerksamkeit und Einlass in gnadenlos überfüllte Clubs erheischen wollen – oder zumindest jämmerlich darum betteln. Adäquater Ausdruck dessen sind auch die so genannten – keinesfalls nur international zugereisten – Pub-Crawler, die es nirgends lange aushalten, weil es im Grunde genommen auch nirgends mehr auszuhalten oder nur noch im Koma zu ertragen ist. Ihre auf die Straßen Berlins geleerte Kotze und Pisse ist aber erst das Semikolon im bisherigen Halbsatz des Niedergangs einer einst lebendigen Stadtkultur.

Geschlossen werden nicht nur Clubs. Nicht zuletzt vorangetrieben von den letzten, von einsamen ‚Gottesdiensten’ verbitterten, Jüngern der Heiligen Kirchen geraten Sonntags-Öffnungszeiten und Alkoholverkauf der Spätis – einer der besten Einrichtungen dieser Stadt – ins Visier der Ordnungshüter. Das Rauchen wird zunehmend auch aus Cafés, Bars und Clubs verbannt. In Prenzlauer Berg wurde jüngst von einer Bürgerinitiative angedroht, eine Kampagne zu ‚Verhaltensregeln’ im Mauerpark zu starten, einem der letzten noch begehbaren Orte im Kiez. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis Alkohol- und Drogenkonsum, Grillparties und nächtliches Musizieren mit dem hinter der Bürgerinitiative stehenden ordnungsamtlichen Polizeiknüppel auch dort beendet werden. Die widerspenstige Tradition der Walpurgisnacht-Feiern hat man in den letzten Jahren schon eingezäunt und tot gewürgt.

Das Grillen wurde nun auch im Tiergarten verboten. Dies folgt dem Trend, den Park zu dem Vorgarten der Regierungseliten zu machen, als den diese ihn ohnehin zu betrachten scheinen. Schließlich nur noch von am Nasenring geführten Tourist*innen als einzig legitimer Gesellschaft umgeben dehnt die herrschende Klasse ihren Raumanspruch damit von Reichstag, Bundeskanzleramt und Schloss Bellevue bis nach Schöneberg südlich des Landwehrkanals aus. Eine an den Wasserverläufen von Spree und Kanal orientierte Umwehrung in Form von Selbstschussanlagen wäre anzudenken. Dazu müssten freilich Korridore in Richtung Kurfürstendamm (als südlichem Mekka des Konsums) und in Richtung Kriminalgericht und JVA Moabit (als nördlichem Fluchtpunkt der Repression) geschaffen werden.

WIEDERAUFBAU

„Die neuen Tempel haben schon Risse. Material für die nächste Schicht.“
(Einstürzende Neubauten)

Wo einst der Palast der Republik stand – eines der wenigen Gebäude in dieser Umgebung, dessen Erhalt gelohnt hätte, und sei es, um die Diskussion um die weitere Nutzung dem Guggenheim-Lab zum Fraß vorzuwerfen – soll im Zuge der Disneylandisierung Berlins in den nächsten Jahren ein Neubau des ehemaligen Stadtschlosses entstehen. Dieses Disneyland ist im Grunde ein einziges großes Freilichtmuseum der Herrschaftsarchitektur Deutschlands, mit dem Brandenburger Tor und der Siegessäule als ihren Ikonen und dem Bismarck-Nationaldenkmal im Tiergarten als germanisch-martialisches Sahnehäubchen.

Während derart widerliche Machtsymbolik unter Denkmalschutz gestellt ist, wird, um noch den letzten Sympathie-Punkt Berlins – nämlich die vergleichsweise chaotische und marode Straßenführung – mit dem Bagger niederzuwalzen, die Bundesautobahn weiter durch die Stadt gefräst. Damit auch der letzte Idiot noch schneller auf der Reichstagskuppel steht. Wer kein Auto hat, kommt mit der neuen Reichshauptstadt-Bahn U5, so sie denn fertig wird, künftig ebenfalls schneller ans Ziel. Wenn sie damit fertig sind, werden sie die Mauer wieder aufbauen – als Denkmal, als Museum und touristischen Brennpunkt.

Mittlerweile ist bei jedem neuen Bauvorhaben der Stadt Berlin davon auszugehen, dass in der Folge eine Brache verschwindet, unartikulierte Graffiti übermalt werden, ein Club oder Projekt geschlossen wird, ein weiterer Freiraum verloren geht und, was einst frei zugänglich war, anschließend Eintritt kostet.

Doch noch etwas habe ich bei meinem kleinen Spaziergang durch Mitte heute gelesen:
„Nicht jede Kuh lässt sich melken“.

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