„Und wer Herr einer bisher
freien Stadt wird und sie nicht vernichtet, mag darauf gefasst sein, von ihr
vernichtet zu werden. Denn die Bürger können sich bei einer Empörung stets auf
ihre Freiheit und alte Verfassung berufen, welche weder die Zeit noch
empfangene Wohltaten in ihrem Gedächtnis auszulöschen vermögen. Was für
Maßregeln und Verkehrungen auch der Eroberer trifft: wenn er die Einwohner
nicht auseinanderreißt und zerstreut, vergessen sie ihre Freiheit und Verfassung
nie…“ (Machiavelli – Der Fürst)
Nein, es gefällt mir nicht, wie sich Berlin in den letzten
Jahren entwickelt. Bei Streifzügen und Spaziergängen durch Prenzlauer Berg,
Mitte und Tiergarten kam mir nach und nach der Gedanke, dass sich die Entwicklung
Berlins in 3 wesentlichen Verfahrensweisen vollzieht.
RÄUMUNG
(VERTREIBUNG)
„And we will die in the class we were born, but that’s a class of our own, my love“
(The Libertines)
Vor der 1992 besetzten und am 24. November 2009 geräumten
Brunnenstraße 183 in Mitte verlangsame
ich – von einer seltsamen Sentimentalität ergriffen – meinen Schritt, wechsele
die Straßenseite, wende meinen Blick nach oben, wo noch immer die Parole zu
lesen ist:
„Wir bleiben alle“. In
Kombination mit seinen leeren, glaslosen Fenstern wirkt das ziemlich
gespenstisch. Wenn wir
nicht alle
bleiben, wo gehen wir dann hin? Und was soll aus dieser Stadt werden, wenn sie das
Leben, welches in ihr pulsiert, nicht mehr ertragen kann oder will?
Berlin war mal reich an und berühmt für seine vielen
besetzten Häuser. 1971 das ehemalige Bethanien-Krankenhaus
am Mariannenplatz in Kreuzberg, legendär besungen von Ton Steine Scherben. Zur
ersten Blütezeit der Hausbesetzungen 1980/81
waren rund 160 Häuser in West-Berlin
besetzt; später etwa zur Hälfte legalisiert, zur Hälfte geräumt. Nach der
großen Welle dieser legendären, oft militanten Häuserkämpfe wurden dann in den
Jahren der so genannten Wende 1989 /
1990 wieder zahlreiche leer stehende, z. T. vom Abriss bedrohte Häuser vor
allem in Ost-Berlin besetzt. Zwischenzeitlich
waren das ca. 150 besetzte Häuser im Osten der Stadt. Andere
Quellen sprechen von „mindestens 224
Häusern“ seit 1987. Während einige Häuser umgehend geräumt
wurden, konnten sich andere länger halten und verteidigen. In den späten
1990ern wurden dann nach und nach auch seit Jahren existierende Projekte mehr
oder weniger brachial beendet. So gab es u. a. 1995-7 eine große Räumungswelle,
vor allem in Friedrichshain. In Prenzlauer Berg kam es noch im Juli 2002 zur
Räumung der bereits im September 1989 besetzten Schliemannstr. 39 am Helmholtzplatz.
Die mit der Wendezeit einsetzende Besetzungswelle zog sich
noch bis Mitte der 1990er Jahre und umfasste so bekannte Objekte wie die im
November 1990 nach heftigen Kämpfen geräumte Mainzer Straße in Friedrichshain (und zahlreiche andere Häuser in
deren Nähe), das bis heute lebendige ‚Tuntenhaus’
in der Kastanienallee 86 in Prenzlauer Berg, die immer wieder in ihrer Existenz
bedrohte, umtriebige ‚Köpi’ und das
derzeit in Räumung befindliche ‚Kunsthaus
Tacheles’ in Mitte. Das angeblich wieder mal letzte besetzte Haus Berlins, die Liebigstraße 14 in Friedrichshain, wurde im Februar 2011 mit großem
Polizeieinsatz geräumt. Damit endet vorerst ein Lebensstil, der auch Besetzungskreisen fernen Berliner*innen und
den vielen, die aus aller Welt zugereist kamen, das Leben in der Stadt
versüßte. Von den parallel zugrunde gegangenen zahllosen Club-, Kunst- und
Kulturprojekten jenseits des Mainstreams ganz zu schweigen.
Schräg gegenüber dem leergeräumten Haus der Brunnenstraße
183, wo die Sanierung schon weiter
fortgeschritten ist, hat der Unternehmer und Werbetexter Jean-Remy von Matt im November 2009 anlässlich des 20. Jahrestages
des Mauerfalls, zeitnah zur Räumung des Squats gegenüber, die Hausfassade mit
einem in akkurater Schrift angebrachten Klospruch versehen lassen (bevor seine
Agentur sie selbst zu nutzen begann, hat Matt Weblogs als „die Klowände des Internets“ bezeichnet). Wie zum Hohn für die
ehemaligen Besetzer*innen ist dort, wo sich in den Hinterhöfen immer noch und
hoffentlich noch lange der rührige Club ZMF
- Zur Möbelfabrik befindet, zu lesen: „Dieses
Haus stand früher in einem anderen Land“. Dieses Land war nicht, wie
suggeriert, die DDR. Dieses Land war ein Berlin, welches von den Wächtern der
toten Gedanken noch nicht endgültig verschlungen war.
Leute wie von Matt haben diesen Zwischen-Raum vernichtet und
überschrieben.
Mit den Räumungen gehen nicht nur lebendige Orte,
Experimente mit Selbstverwaltung, bunte, laute und kantige Farbkleckse und eine
Berlin-spezifische Stadtkultur verloren, sondern auch Zufluchtsorte für Berlins
mindestens 11 000 Obdachlose, für Drogennutzer*innen, Ausreißer und andere freiwillig
oder unfreiwillig am Rande der Gesellschaft lebende, die häufig auch in
‚stillen Besetzungen’ lebten oder auch dahinvegetierten. Und die Mieten
steigen. In Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg liegt der
Preis für Neuvermietungen mittlerweile bei rund acht Euro pro Quadratmeter, in
Mitte stiegen die Mieten zwischen 2009 und 2010 um 13,7 Prozent, in Pankow um
8,5 Prozent.
Die Abgebrühtheit der die Stadt erdrückenden Makler, Investoren,
Immobilienspekulanten, Neureichen und Bosse zeigt sich nicht zuletzt darin,
dass ihre täglich in Brand gesetzten
Autos sie nicht dazu bringen, Berlin zu meiden, sondern ihre brennenden und
qualmenden Luxus-Fahrzeuge nur noch zum Anlass nehmen, sich im Anschluss an ihr
Business-Lunch in Mitte beim Bummel durch die Showrooms der Friedrichstraße nach einem neuen, besseren Modell
umzusehen.
SCHLIESSUNG
„Die Bemühung aller
etablierten Mächte, die Mittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den Straßen
zu vermehren, gipfelt schließlich in der Abschaffung der Straße.“
(Guy Debord)
Den gleichen Eifer, den Mitte bei der Räumung ehemals
besetzter Häuser und Projekte an den Tag legt, legt der Nachbarkiez Prenzlauer Berg bei der Schließung von Clubs an die Nacht.
Alarmiert von engstirnigen Eltern, die ganz Berlin am
liebsten in eine Kindertagesstätte verwandeln würden, mussten allein in den
letzten 2 Jahren der Magnet Club, der
Knaack Club, das Icon und der Klub der
Republik den dortigen Gralshütern des veganen Babybreis weichen. Von wenigen
Ausnahmen abgesehen ist Ausgehen in Prenzlauer Berg damit mittlerweile ungefähr
so spannend wie Ausgehen in Konstanz. Eine kleine Uni-Stadt am Bodensee, an die
sich eine von dort kommende Freundin von mir beim abendlichen Gang durch
Prenzlberg angesichts leerer Straßen und bereits geschlossener Bars erinnert
fühlte und der sich der Kiez leider mit großer Anstrengung annähert. Tut mir
leid, Ronja, war mir auch peinlich.
So auf immer weniger Punkte konzentriert, bilden sich – wie einst
in der DDR – immer längere Schlangen vor immer weniger übrig gebliebenen
nächtlichen Schlupflöchern. Wo nur noch der Mangel verwaltet wird, sinken natürlich auch die geschmacklichen
Hemmschwellen. Davon zeugen nicht nur die bodenlosen Outfits manch besonders Findiger,
die sich durch Ablegen jeglichen Geschmacks Aufmerksamkeit und Einlass in
gnadenlos überfüllte Clubs erheischen wollen – oder zumindest jämmerlich darum
betteln. Adäquater Ausdruck dessen sind auch die so genannten – keinesfalls nur
international zugereisten – Pub-Crawler,
die es nirgends lange aushalten, weil es im Grunde genommen auch nirgends mehr
auszuhalten oder nur noch im Koma zu ertragen ist. Ihre auf die Straßen Berlins
geleerte Kotze und Pisse ist aber erst das Semikolon im bisherigen Halbsatz des
Niedergangs einer einst lebendigen Stadtkultur.
Geschlossen werden nicht nur Clubs. Nicht zuletzt
vorangetrieben von den letzten, von einsamen ‚Gottesdiensten’ verbitterten,
Jüngern der Heiligen Kirchen geraten Sonntags-Öffnungszeiten und
Alkoholverkauf der Spätis – einer
der besten Einrichtungen dieser Stadt – ins Visier der Ordnungshüter. Das Rauchen wird zunehmend auch aus Cafés,
Bars und Clubs verbannt. In Prenzlauer Berg wurde jüngst von einer
Bürgerinitiative angedroht, eine Kampagne zu ‚Verhaltensregeln’ im Mauerpark zu starten, einem der letzten
noch begehbaren Orte im Kiez. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis Alkohol-
und Drogenkonsum, Grillparties und nächtliches Musizieren mit dem hinter der
Bürgerinitiative stehenden ordnungsamtlichen Polizeiknüppel auch dort beendet werden.
Die widerspenstige Tradition der Walpurgisnacht-Feiern
hat man in den letzten Jahren schon eingezäunt und tot gewürgt.
Das Grillen wurde nun auch im Tiergarten verboten. Dies folgt dem Trend, den Park zu dem Vorgarten
der Regierungseliten zu machen, als den diese ihn ohnehin zu betrachten scheinen.
Schließlich nur noch von am Nasenring geführten Tourist*innen als einzig
legitimer Gesellschaft umgeben dehnt die herrschende Klasse ihren Raumanspruch
damit von Reichstag, Bundeskanzleramt
und Schloss Bellevue bis nach Schöneberg südlich des Landwehrkanals aus.
Eine an den Wasserverläufen von Spree und Kanal orientierte Umwehrung in Form
von Selbstschussanlagen wäre anzudenken. Dazu müssten freilich Korridore in
Richtung Kurfürstendamm (als südlichem
Mekka des Konsums) und in Richtung Kriminalgericht
und JVA Moabit (als nördlichem
Fluchtpunkt der Repression) geschaffen werden.
WIEDERAUFBAU
„Die neuen Tempel haben schon
Risse. Material für die nächste Schicht.“
(Einstürzende Neubauten)
Wo einst der Palast
der Republik stand – eines der wenigen Gebäude in dieser Umgebung, dessen
Erhalt gelohnt hätte, und sei es, um die Diskussion um die weitere Nutzung dem Guggenheim-Lab zum Fraß vorzuwerfen –
soll im Zuge der Disneylandisierung
Berlins in den nächsten Jahren ein Neubau des ehemaligen Stadtschlosses entstehen. Dieses Disneyland ist im Grunde ein einziges
großes Freilichtmuseum der
Herrschaftsarchitektur Deutschlands, mit dem Brandenburger Tor und der Siegessäule
als ihren Ikonen und dem Bismarck-Nationaldenkmal
im Tiergarten als germanisch-martialisches Sahnehäubchen.
Während derart widerliche Machtsymbolik unter Denkmalschutz
gestellt ist, wird, um noch den letzten Sympathie-Punkt Berlins – nämlich die
vergleichsweise chaotische und marode Straßenführung – mit dem Bagger
niederzuwalzen, die Bundesautobahn weiter
durch die Stadt gefräst. Damit auch der letzte Idiot noch schneller auf der Reichstagskuppel steht. Wer kein Auto
hat, kommt mit der neuen Reichshauptstadt-Bahn
U5, so sie denn fertig wird, künftig
ebenfalls schneller ans Ziel. Wenn sie damit fertig sind, werden sie die Mauer wieder aufbauen – als Denkmal,
als Museum und touristischen Brennpunkt.
Mittlerweile ist bei jedem
neuen Bauvorhaben der Stadt Berlin davon auszugehen, dass in der Folge eine
Brache verschwindet, unartikulierte Graffiti übermalt werden, ein Club oder
Projekt geschlossen wird, ein weiterer Freiraum verloren geht und, was einst
frei zugänglich war, anschließend Eintritt kostet.
Doch noch etwas habe ich bei meinem kleinen Spaziergang
durch Mitte heute gelesen:
„Nicht jede Kuh lässt sich melken“.